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Die Verfassung selbst sagt dies zwar nicht ausdrück-
lich, 8128, Abs. 1 überweist vielmehr die notwendigen
Vorschriften über „die Vollziehung der reichsgericht-
lichen Entscheidungen und Verfügungen“ der künftigen
Reichsgerichtsordnung. _Indessen, wenn die Normen
des $ 126 Ziff. a) und g) überhaupt praktisch werden
sollten, hätte auch die Reichsgerichtsordnung im
wesentlichen in der gedachten Hinsicht ganz gewiss
nichts anderes bestimmen können. Übrigens sollte
nach $ 128, Abs. 2 der Verfassung das Reichsgericht
eventuell mit Geschworcnen besetzt werden. Dann
wäre also möglicherweise der „Träger“ der Reichs-
sewalt in aller Form von dem politischen Denken
und Fühlen des Volkes abhängig gewesen! Ein
schlimmeres Zerrbild wahrer kaiserlicher Gewalt lässt
sich in der Tat schwer denken.
Das Deutsche Reich von 1871 besitzt ein Reichs-
gericht im Sinne einesReichsstaatsgerichtshofes nicht *?).
Zwar fallen nach der geltenden Reichsverfassung dem
Bundesrat einige Funktionen zu, die nach der Ver-
fassung von 1849 das Reichsgericht üben sollte: Art. 76,
17 (vgl. $ 126 Ziff. c)—e) und h) der Frankfurter Ver-
fassung). Aber auch soweit hiernach dem Bundesrat
ein höchstes Entscheidungsrecht zusteht, ist er nicht
Gerichtshof, sondern, da er das Organ des Trägers
der Reichssouveränität ist, sind seine Entscheidungen
in diesen Fällen naturgemäss souveräner Natur. Recht-
liche Beziehungen des Kaisers zu einem Staatsgerichts-
hof des Reiches sind jedenfalls im Deutschen Reiche
der Verfassung von 1871 nicht vorbanden.
49) Das durch die Gerichtsverfassung des neuen Deutschen
Reiches geschaffene Reichsgericht und das Reichsgericht der
Paulskirche haben nur den Namen miteinander gemein.