120 II. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland.
zuerst in eine wirkliche Staatsordnung überzuleiten. Erst jetzt war
die Staatseinheit gegründet, denn die Provincialstände waren jetzt
dem allgemeinen Landtage untergeordnet. Durch die Kassenver-
einigung wurde zuerst ein einheitlicher Staatshaushalt möglich. Der
bis dahin eximirte Rittergutsbesitzer wurde nun zum mitverpflich-
teten Gemeindemitgliede. Zugleich gewährte die gesetzlich erleich-
terte Ablösung der bäuerlichen Lasten die Aussicht, dass allmälig
in dem befreiten Bauernstande ein neues selbständiges politisches
Element heranwachsen werde, eine Erwartung, die gerade in Han-
nover in der Zukunft sich glänzend erfüllen sollte.
Neben diesen wichtigen Grundgesetzen der drei grössern nord-
deutschen Staaten sind aus dieser Periode noch zu erwähnen: das
umfassende sachsen-altenburgische Gesetzvom 29.Aprıl
1831 und dieneue Landschaftsordnung für das Herzog-
thum Braunschweig vom 12. Oktober 1832. Damit war
las ganze ausserpreussische Norddeutschland, mit Ausnahme der
beiden Grossherzogthümer Mecklenburg und der mit Dänemark ver-
einigten Herzogthümer Holstein und Lauenburg, in die konstitu-
tionelle Staatsordnung eingetreten.
& 54.
Die beiden Grossmächte von 1815 —1848!,
Hatte somit die konstitutionelle Entwickelung erst den Süden,
dann den Nordwesten Deutschlands ın ihr Bereich gezogen. so
musste dieselbe, in dieser ganzen Periode noch an den Grenzen der
beiden Grossmächte Halt machen. Vor allen repräsentirte Oester-
reich das Princip des unbedingten Stillstandes. \Vo noch Schatten-
bilder alter ständischer Vertretungen vorhanden waren, liess man sie
fortbestehen, wo Landstände neu errichtet wurden. hielt man sie
in derselben machtlosen Scheinexistenz ; sie mussten sich damit be-
gnügen, die von der Provinz zu entrichtenden Steuern zu repartiren
und einzuheben und andere unbedeutende Verwaltungsgeschäfte vor-
ı A.Springer, Geschichte Oesterreichs seit den Wiener Verträgen. B.I.
1863. Oesterreich im Staatsw. B. VII. S. 447—646. Gervinus, Geschichte
des XIX. Jahrhunderts. B.1.S.413 ff. Die auf die landständischen Verfassungen
bezüglichen Urkunden stehen bei G. v. Meyer, Corpus const. Germ. 1845.
S. 103—150. H. Pernice, Die Verfassungsrechte der im Reichsrathe vertre-
tenen Königreiche und Länder der österreichischen Monarchie. Rechtshisto-
rische Beiträge. Th. I. Halle 1872. Für Preussen vergl. Hermann Schulze,
Das preussische Staatsrecht. B. I. (1872), besonders $ 32, wo die Literatur mit
allen näheren Nachweisen sich findet.