4. Die Krisis des Jahres 1848. 139
für die erste und zweite Kammer, unter Vorbehalt der Revision.
Das Wahlgesetz für die erste Kammer bestimmte einen mässigen
Census, das für die zweite Kammer hielt das Kopfzahlsystem fest.
Die zur Revision bestimmten neuen Kammern wurden am 26. Fe-
bruar 1849 eröffnet!; am 27. April 1840 erfolgte die Auflösung
und die Oktroyirung eines neuen Wahlgesetzes unter Zugrunde-
legung des bekannten Dreiklassensystems am 30. Mai 1849. Mit
den auf dieser Grundlage erwählten Revisionskammern wurde nach
langen und schwierigen Verhandlungen die Verfassungsur-
kunde vom 31. Januar 1850 festgestellt und am 6. Februar vom
Könige und von den Kammern feierlich beschworen, sie bildet mit
manchen wichtigen Abänderungen und Ergänzungsgesetzen, unter
denen besonders das Gesetz vom 7. Mai 1853 nebst Verordnung vom
12. Oktober 1854 über die Zusammensetzung des Herrenhauses
hervorzuheben ist, das jetzt giltige Staatsgrundgesetz der
preussischen Monarchie?. Die preussische Verfassung weicht
nach Form und Inhalt vielfach von den Verfassungsurkunden ab,
welche in Deutschland vor dem Jahre 1848 entstanden sind. Unver-
kennbar ist in ihrer ganzen Anordnung die Zugrundelegung der aus-
ländischen Schablone. Die nivellirenden demokratischen Tenden-
zen des Jahres 1848 mischten sıch mit den absolutistisch -büreau-
kratischen Bestrebungen, welche in derZeit der Revisionskammern
bereits wieder zur Macht gelangt waren. Die radikalen Theorien der
Fortschrittsmänner von 1848 sınd vielfach mit den Traditionen des
preussischen Beamtenstaates zu einem unorganischen Aggregate zu-
sammengewürfelt. Die Anschauungen des französischen Konstitu-
tıionalismus haben auf die preussische; Verfassung viel stärker einge-
wirkt, als der Gedanke des deutschen Rechtsstaates3. Auch hat die
1 Vergl. besonders Ferd. Fischer, Geschichte der preussischen Kammer
vom 26. Februar bis zum 7. April 1849. Berlin 1849.
?2 Die Materialien zur Geschichte der preussischen Verfassungsurkunde
finden sich am vollständigsten bei L. v. Rönne, Die Verfassungsurkunde für
den preussischen Staat vom 31. Januar 1850. III. Aufl. Berlin 1859. Eine
pragmatische Geschichte der preussischen Verfassungsurkunde ist bis jetzt noch
nicht geschrieben, obgleich eine solche eine fühlbare Lücke in der Erkenntniss
der preussischen und deutschen Staatsentwickelung ausfüllen würde.
3 In diesem Sinne giebt eine Kritik der preussischen Verfassung Geff-
ken, Die Reform der preussischen Verfassung. Leipzig 1871. Die Mängel der
preussischen Verfassung als einer sog. lex imperfecta hebt hervor E. v.
Stockmar in seinen scharfsinnigen »Studien über das preussische Staatsrecht«
in Aegidi’s Zeitschr. B. I. 8. 196 ff. Die Idee des Rechtsstaates, im Gegen-
satz zu den Irrthümern des französischen Pseudokonstitutionalismus, hat mit be-