$. Die Gründung des neuen deutschen Reiches. 173
dern auch die Wiedererneuerung der Bezeichnung »Kaiser und
Reich« angeregt worden. König Ludwig II. von Bayern hatte die
Initiative ergriffen und ein eigenhändiges Schreiben an die übrıgen
Fürsten gerichtet, um auf dieses Ziel hinzuwirken. Nachdem sich
sämmtliche Fürsten und freien Städte dem Antrage angeschlossen
hatten, erfolgte die Einwilligung des Königs von Preussen dahin,
»dass vorläufig ein dahin gehender Gesetzentwurf dem norddeutschen
Reichstage vorgelegt werde«, was am 9. December 1870 geschah. Am
folgenden Tage bereits wurde dieser Entwurf vom norddeutschen
Reichstage angenommen. Nachdem dernorddeutsche Reichstag sei-
nerseits sämmtliche Verträge mit den süddeutschen Staaten geneh-
migt und sowohl die hierdurch, alsdiedurch die Vorlage in Bezug auf
Kaiser und Reich bedingten Verfassungsänderungen angenommen
hatte, war es nothwendig, auch die gleiche Genehmigung seitens der
Landtage der vier süddeutschen Staaten herbeizuführen und waren
denselben vonihren Regierungen die betreffenden Vorlagen gemacht
worden (Sämmtliche Kammerverhandlungen finden sich in Bezold’s
Materialien B. III). In Hessen, Baden und Württemberg erfolgte
die Genehmigung rechtzeitig, d. h. vor dem 1. Januar 1871. In
Bayern sprach zwar die Kammer der Reichsräthe ihre Zustimmung
noch am 30. December 1870 mit allen gegen drei Stimmen aus, die
Kammer der Abgeordneten jedoch gelangte erst am 21. Januar 1871
nach zehntägigen heissen Debatten zu einem Beschlusse, indem sie
nun endlich auch ihrerseits mit 102 gegen 48 Stimmen die Zustim-
mung ertheilte.
Durch diese verfassungsmässige Zustimmung der betreffenden
Volksvertretungen erhielten die Regierungen des norddeutschen Bun-
des und der süddeutschen Staaten die staatsrechtliche Ermächtigung,
die völkerrechtlichen Verträge vom November ins Leben zu führen.
Dieselben wurden ratificirt und ordnungsmässig publicirt. Da ın
allen Vertragsinstrumenten ausdrücklich gesagt war, dass der Ver-
trag mit dem 1. Januar 1871 ins Leben treten sollte, so ist dieser Tag
unzweifelhaft als der Geburtstag des neuen deutschen Reiches
zu betrachten. Auch für Bayern, in dessen Vertrag ebenfalls dieser
Termin festgestellt worden war. Die allerdings später erst nach-
folgende landständische Zustimmung genehmigte mit dem ganzen
Vertrage auch dendarin enthaltenen Anfangstermin und ist insofern
als eine Ratihabition des geschlossenen Verfassungsbündnisses anzu-
sehen. Mit diesem Inslebentreten des deutschen Reiches waren die
zu Grunde liegenden völkerrechtlichen Novemberverträge vollständig
erfüllt und das völkerrechtliche Vertragsverhältniss hatte sich für alle