174 1l. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland.
im neuen deutschen Reiche befindlichen Staaten nun ebenfalls in
ein staatsrechtliches Verfassungsverhältniss verwandelt.
Am 18. Januar 1871 erliess der König von Preussen vom Haupt-
quartier in Versailles aus eine Proklamation, worin er erklärte, dass
er für sich und seine Nachfolger an der Krone Preussen die deutsche
Kaiserwürde angenommen habe.
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Schlussredaktion der deutschen Reichsverfassung.
Das deutsche lkeich war am 1. Januar 1871 ins Leben getreten.
Es hatte selbstverständlich auch seine Verfassung. Der Gang der
Verhandlungen, welcher zur Gründung des deutschen Reiches ge-
führt hatte. hatte aber zur Folge gehabt, dass das Verfassungsrecht
des deutschen Reiches in drei verschiedenen Urkunden enthalten war,
in der zwischen dem norddeutschen Bunde, Baden und Hessen am
15. November 1870 vereinbarten Verfassung, in dem Vertrage zwi-
schen dem norddeutschen Bunde und Bayern vom 23. November
und in dem Vertrage zwischen dem norddeutschen Bunde, Baden und
Hessen einerseits und Württemberg andererseits vom 25. November.
Dazu kam, dass diese drei Urkunden bereits unterzeichnet waren,
als der Beschluss gefasst wurde, dass der neue deutsche Bund den
Namen »Deutsches Reich« führen und dass die Ausübung der P’rä-
sidialrechte mit Führung des Titels eines deutschen Kaisers ver-
bunden werden sollte; man begnügte sich vorläufig damit, die Na-
men »Kaiser und Reich« an den beiden prägnanten Stellen der
Verfassung im Art. 11 und im Eingange einzufügen. Dem Texte
der Verfassung fehlte daher die folgerichtige Terminologie und die
Uebereinstimmung mit der seit ihrer Unterzeichnung eingetretenen
Entwickelung. Diese Zerstreuung der Grundlagen, auf welchen
der neue staatsrechtliche Zustand Deutschlands beruhte, war ein
Uebelstand,, welchem durch eine neue einheitliche Redaktion der
Verfassung abgeholfen werden musste. Als am 1. März 1871 der
erste deutsche Reichstag eröffnet worden war, legte noch an dem-
selben 'Tage der Bundeskanzler den Entwurf eines Gesetzes betref-
fend die Verfassung des deutschen Reiches vor, welcher diesen
formellen Missständen abhelfen sollte. Materielle Aenderungen des
bestehenden Verfassungsrechtes beabsichtigte diese Revision nicht;
sie enthält nur eine Bestimmung, welche in den im Eingange er-
wähnten Dokumenten nicht vorkommt, nemlich die Bestimmung im
A. 8, nach welcher der durch den Vertrag vom 23. November 1870
No. IIS 6 geschaffene Ausschuss des Bundesrathes für die auswär-