Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

180 il. Das Landesstaatsrecht. 
39 Staaten retteten ihr Dasein in den deutschen Bund, dessen Mit- 
gliederbestand bei seinem Ende 34 betrug. Durch den deutschen 
Krieg von 1866 verloren Hannover, Kurhessen, Nassau, Holstein- 
JLauenburg und Frankfurt am Main ihre staatliche Existenz. Der 
norddeutsche Bund enthielt 22 Staaten. Durch den Beitritt der 
süddeutschen Staaten wuchs der Mitgliederbestand des neuen deut- 
schen Reiches auf 25 Staaten. Obgleich jeder dieser 25 Einzelstaa- 
ten sein eigenes Vartikularstaatsrecht hat, so lässt sich doch der 
allgemeine Charakter des deutschen Landesstaatsrechts in folgen- 
den Sätzen zusammenfassen: 
1) Die 25 deutschen Länder, als Glieder eines Bundesstaates, 
sind noch heutzutage wirkliche Staaten, nicht blos Provinzen 
oder Körper der Selbstverwaltung. Wenn ihnen auch auf gewissen 
Gebieten durch die Reichsverfassung bestimmte staatliche Funktio- 
nen ganz entzogen sind, wenn sie auf andern wenigstens unter der 
Gesetzgebung und der Oberaufsicht der Reichsgewalt stehen, so 
giebt es immerhin noch wichtige Gebiete des innern Staatslebens, 
wo sie sich ihre Gesetze selbst geben und lediglich durch diese be- 
stimmt werden, wo sie als unabhängige Staatskörper sich selbst 
regieren. Für diese ihre unabhängige Kompetenz streitet sogar die 
Vermuthung. Soweit die Reichsverfassung den Einzelstaaten nicht 
ausdrücklich staatliche Befugnisse entzieht, sind sie in deren Be- 
sitze verblieben. 
2, Aber die deutschen Einzelstaaten sind, als Glieder eines 
Bundesstaates, keine vollkommen souveränen Staaten mehr. Sie 
sind nicht blos durch völkerrechtliche Verträge gebundene Glieder 
einer sonst gleichberechtigten Staatengesellschaft, sondern stehen 
vielmehr unter einer übergeordneten wahren Staatsgewalt; sie sind 
Unterstaaten eines Oberstaates. Die deutschen Einzelstaaten neh- 
men daher im wesentlichen wieder eine staatsrechtliche Stellung 
ein. wie die Territorien des ältern deutschen Reiches; sie sind da- 
mit in die ihnen durch die Geschichte angewiesene, naturgemässe 
Stellung zurückgekehrt. Nur die Form der Unterordnung ist eine 
andere geworden. Von einem Lehensverhältnisse der deutschen 
Territorien und ihrer Fürsten zu Kaiser und Reich ist keine Rede, 
wie überhaupt das Lehenrecht aus dem Gebiete des modernen öffent- 
lichen Rechts auszuscheiden ist. Die deutschen Fürsten sind nicht 
mehr wie ehedem Vasallen des Kaisers; aber ihre Staaten sind der 
Reichsgewalt staatsrechtlich, nach den Grundsätzen einer bundes- 
staatlichen Verfassung. untergeordnet.
	        
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