Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

908 i. Das Landesstaatsrecht. 
Goldene Bulle für die Kurfürstlichen Häuser festgestellt hatte, war 
(ie Hausverfassung zu ihrem Abschlusse gediehen. Erst damit war 
eine sichere Grundlage für die zu begründende Staatseinheit und 
eine angemessene staatsrechtliche Successionsordnung gegeben. 
%. 
4) Die Thronfolge in den letzten Reichszeiten !. 
Schon zu Reichszeiten war in allen deutschen Fürstenhäusern, 
wenigstens in deren Speciallinien, die agnatische Linealprimogenitur 
eingeführt. Ausserdem hielt man sich an die gemeinrechtlichen 
Grundsätze der langobardischen Lehenfolge, soweit nicht Reichs- 
gesetze, specielle Investiturverträge oder hier und da erhaltene 
deutsch-rechtliche Lehensgrundsätze eine Abweichung begründeten!. 
Selbst in Betreff rein allodialer Territorien hielt man sich an die 
Analogie der Lehentexte. Im Ganzen wurde die 'Thronfolge aufge- 
fasst als eine sog. successio ex pacto et providentia majorum, wie 
man sie beim adligen Stammgut, beim Lehen und Familienfidei- 
kommis annahm; doch wirkte bereits neben diesem privat-fürsten- 
rechtlichen Charakter auch das staatliche Princip auf die Suc- 
vessionsgrundsätze ein, nur war dasselbe noch nicht zum allein 
geltenden erhoben?. Noch mischten sich ungehörige privatrecht- 
liche Gesichtspunkte in die Beurtheilung der T'hronfolge ein. Noch 
mannigfach wurde, beim Wechsel des Landesherrn, die Rechtskon- 
tinuität der Handlungen des Vorgängers in Frage gestellt, noch 
wusste man die privatrechtliche Persönlichkeit des Landesherrn 
nicht scharf von seiner öffentlich-rechtlichen Stellung zu trennen. 
Wie überhaupt der staatliche Charakter der deutschen Territorien 
bis zur Auflösung des Reiches ein unfertiger geblieben ist, so 
schwanken noch im vorigen Jahrhundert die Grundsätze der Thron- 
folge zwischen staats- und privatrechtlicher Auffassung hin und her. 
91. 
5) Juristische Natur der Thronfolge im heutigen Staatsrechte. 
Waren zu Reichszeiten die Territorien unfertige Gebilde, wo 
die erwachende Staatsidee mit dem Patrimonialprincıp noch im 
I H.v. Sicherer, Ueber die Gesammtbelehnung in deutschen Fürstenthü- 
mern. München 1805. 
2 ]iesen doppelten Gesichtspunkt, den dynastischen und den staatlichen, 
stellen alle späteren Hausgesetze, besonders die Primogeniturordnungen, gleich- 
mässig als Prinzip hin. Dies drückt Pütter, primaelineae$ 11, so aus: »Mansit 
principium conservandi cujusque familiae splendoris« quin et nova accessit 
increvitque principum qua imperantium consideratio.
	        
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