Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

l. Von dem Staatsoberhaupte oder dem Monarchen. 209 
Kampfe lag, so ist der deutsche Staat der Gegenwart, wie er in den 
neuern Verfassungsurkunden sich darstellt, zur Staatspersön- 
lichkeit, zum selbständigen Organismus herangereift, in welchem 
der Monarch die Stellung des obersten leitenden Organs einnimmt. 
Infolge dieses längst angebahnten, endlich in diesem Jahrhundert 
um Abschlusse gediehenen staatlichen Umgestaltungsprocesses 
muss auch das Recht der 'Ihronfolge einer andern Beurtheilung 
unterliegen, als zu Reichszeiten. Vor allem ist die 'Thronfolge in 
len monarchischen Staaten Deutschlands zur wahren Staatssuc- 
cession geworden; sie ist aus der Sphäre des fürstlichen Haus- 
rechtes in das Verfassungsrecht der Staaten, aus den Hausgesetzen 
in die Verfassungsurkunden übergegangen, von denen jetzt die 
Grundsätze über die Thronfolge einen integrirenden Theil bilden. 
Diesen wichtigen Fortschritt unseres praktischen Staatslebens gilt 
es auch theoretisch anzuerkennen, indem die Lehre von der Thron- 
folge jetzt die letzten Schlacken privatrechtlicher und patrimonialer 
Anschauungen auszuscheiden hat. 
Vor allem müssen die civilrechtlichen Grundsätze des römi- 
schen Erbrechtes von der 'Thronfolge feın gehalten werden; schon 
die Erhebung der einst ernstlich erörterten Frage, ob die Thronfolge 
Universal- oder Singularsuccession im Sinne des römischen Rechts 
sei, wäre ein Anachronismus. Aber ebenso unstatthaft ist es, die 
Ihronfolge, wie dies zu Reichszeiten allgemein geschah, als eine suc- 
cessio ex pacto et providentia majorum zu bezeichnen und sie unter 
den Gesichtspunkt der Stammguts- und Fideikommisserbfolge zu 
stellen, wie dies auch noch von den neuern Staatsrechtslehrern Zöpfl 
und H. A. Zachariä geschieht. Es ist anzuerkennen, dass auf 
dem Gebiete des öffentlichen Rechts überhaupt von Erben und Erb- 
folge gar nicht die Rede sein kann, denn jede Art von Erbrecht setzt 
eine Verlassenschaft, die Uebernahme eines erledigten Vermögens 
voraus. Als ein solches Objekt der Vererbung kann aber niemals 
der Staat, dieser selbständige, persönliche Organismus, gedacht wer- 
den. Die Staatssuccession in Erbmonarchien ist überhaupt keine 
Erbfolge, sondern bewegt sich nur äusserlich in Formen, welche 
dem Erbrechte entlehnt sind. Das Wesen der sog. Erbmonarchie, 
im Unterschiede von der Wahlmonarchie, besteht darin, dass eine 
bestimmte Familie, eine Dynastie, mit der Thronfolge verfassungs- 
mässig in einem solchen Zusammenhang steht, dass lediglich aus 
ihr, nach einer festgeordneten Reihenfolge, diejenige Person her- 
vorzugehen hat, welche bei eintretender ‘Ihronerledigung in die 
H. Schulze, Deutsches Staatsrecht. 14
	        
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