Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

1. Von dem Staatsoberhaupte oder dem Monarchen. 219 
cap. 70: »und ist ioch die muter sempaer vri und der vater mitel vri. diu 
kint werdent mitel vrien und ist der vater sempervri und diu muter mitel 
vri. diu kint werdent aber mitel vrien.« Dieser Satz ist, wie Stobbe 
richtig bemerkt, nicht eine blosse theoretische Meinung des Spieglers, 
sondern steht mit der Geschichte der Fürsten- und Grafenhäuser der da- 
maligen Zeit in vollem urkundlich zu beweisendem Einklange. 
In diese festgegliederte Geburtsstandesverfassung des Mittelalters 
trat seit dem XV. und XVI. Jahrhundert die durch das römische Recht 
unterstützte moderne Eintwickelung, welcher es gelang, diese Trennung 
der Stände im Eherechte theilweise zu beseitigen und wenigstens den 
Satz zur gemeinrechtlichen Anerkennung zu bringen, dass die Ehe zwi- 
schen einer Person des Ritterstandes mit einer nicht ritterbürtigen (bür- 
gerlichen) keine Missheirath, sondern eine ebenbürtige Ehe sei. In 
gleicher \Veise versuchte die Theorie auch die eherechtlichen Grundsätze 
des Herrenstandes in Frage zu stellen, indem sie wenigstens die Eben- 
bürtigkeit der Ehe zwischen dem Herrenstande und dem sog. niederen 
Adel behauptete, wobei ihr besonders der historische Irrthum zur Stütze 
diente, dass der Herrenstand und der jetzt als niederer Adel bezeichnete 
Ritterstand nur zwei Stufen desselben Geburtsstandes seien, während 
beide ihrem \Vesen nach von jeher grundverschiedene Stände gewesen 
sind. (Pütter, Ueber den Unterschied der Stände, besonders des hohen 
und niederen Adels in Deutschland. 1795.) Allein dem Herrenstande 
gegenüber konnte die Theorie nicht mit solchem Erfolge durchdringen, 
wie bei den gewöhnlichen Privatständen, weil ihr hier nicht die leben- 
dige Macht der Thatsachen zur Seite stand. Während der Ritterstand, 
als erblicher Kriegerstand,, mit der alten Kriegsverfassung sein Lebens- 
prinzip verlor, wurde die Stellung des Herrenstandes durch diese Ver- 
änderung nicht gefährdet, vielmehr hob sich seine Bedeutung mit der 
Entwickelung der deutschen Reichsverfassung immer mehr. Dieser hohe 
oder herrschende Adel wurde der Inbegriff derjenigen Geschlechter, 
welche Landeshoheit und Reichsstandschaft besassen. Diese beiden 
eminenten Befugnisse gewährten diesen Familien eine so hervorragende 
staatsrechtliche Stellung, dass sie sich in ihrer abgeschlossenen Geburts- 
standesverfassung nicht nur behaupten, sondern auch noch mehr befe- 
stigen konnten. Durch die Vereinigung des Herrenstandes in reichsstän- 
dische Kollegien wurde die Grenze gegen alle übrigen Stände aufs 
bestimmteste gezogen. \Venigstens hielt der eigentliche Kern dieses 
Standes, welcher aus den altweltlichen Fürstenhäusern bestand, bei 
seinen Eheschliessungen diese Grenze unverändert ein und behauptete sein 
Ebenbürtigkeitsprinzip gegen die nivellirende Theorie der Juristen, wenn 
diese auch auf einzelne Urtheilssprüche der Reichsgerichte, besonders 
des Reichshofrathes, bestimmend einwirkte, mit grosser Konsequenz. 
Auch gelang es dem Fürstenstande, den Kaiser in der dem fürstlichen 
Ebenbürtigkeitsprinzip so gefährlichen Ertheilung der hochadeligen Fa- 
milientitel durch die Wahlkap. von 1742 A. XXII. $ 4. zu beschränken: 
»Noch auch den aus unstreitig notorischer Missheirath er- 
zeugten Kindern eines Standes des Reiches oder aus solehem Hause ent- 
sprossenen Herın, zur Verkleinerung des Hauses, die väterlichen Titel,
	        
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