Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

I. Von dem Staatsoberhaupte oder dem Monarchen. 227 
die Goldene Bulle Cap. VII $2 und 3 ausdrücklich den weltlichen 
Stand. In Betreff der übrigen Reichslande war es bestritten, ob ein 
Kleriker, besonders der hohen Weihen, succediren könne, doch 
neigte sich die spätere Reichspraxis mehr zu Gunsten der Kleriker!. 
Heutzutage verlangt der ausgeprägte weltliche Charakter des 
Staates und die Unabhängigkeit der Staatsgewalt auch die weltliche 
Eigenschaft des Staatsoberhauptes. Die obliegenden geistlichen 
Pflichten und die Obedienz gegen kirchliche Obere, insbesondere 
gegen den römischen Stuhl, machen jeden katholischen Priester 
unfähig zum unabhängigen Oberhaupte eines deutschen Staates. 
Uebrigens ist gegenwärtig kein einziger Prinz aus einem regierenden 
(deutschen Fürstenhause katholischer Priester. Da die evangelische 
Kirche weder Laien noch Kleriker kennt und die Lehre vom unaus- 
löschlichen Charakter des Priesterthums verwirft, so kann ein sol- 
cher Ausschluss sich nicht auf evangelische Geistliche beziehen. 
8 98. 
f) Regierungsfähigkeit?. 
Zu Reichszeiten wandte man bei Beurtheilung der Frage, ob 
eın Anwärter befähigt sei zur Ausübung seiner Regentenpflichten, 
die freilich sehr bestrittenen und schwankenden Grundsätze des 
Lehenrechts an (II. F. 36. I.F.6$ 2. Sächsisches Lehenrecht A. 30. 
% 2. Schwäbisches Lehenrecht Lassb. $ 59. Sachsens. B.TA. 4). 
Von besonderer Wichtigkeit wurde die Bestimmung der Goldenen 
Bulle Cap. XXV 8 3, welche den geistesschwachen Anwärter von 
der Succession in die Kurländer ausschliesst : 
»Primogenitus filius succedat sibique soli jus et dominium com- 
petat, nisi forsitan mente captus, fatuus s. alterius fa- 
ı II. F. 2686: »Qui clericus effieitur aut votum religionis assumit, hoc ipso 
feudum omittit«; ebenso schliesst das Lehenr. des Sachsensp. cap. 2. Welt- und 
Klostergeistliche gleichmässig aus; dagegen erkennt bereits das Lehenrecht des 
Schwabensp. cap. 4 »jeglichen Pfaffen von Rittersart« als lehensfähig an, so auch 
die neuere Reichspraxis, Moser’s Familienstaatsr. Th. I. 8.23 f. Pütters 
Rechtsfälle B. II. Th. 3. 8. 553. 8. 574. Desssen Beiträge zum Staats- und 
Fürstenrechte Th. II. S. 149 #f. 
® Moser, Deutsches Staatsr. B. XII. S. 368. Familienstaatsr. Th.I. 8. 22. 
Pütter, primae lineae $ 22. Leist, Lehrb. $ 35. Klüber, $ 247. not. b. 
Speciell unter den Neueren behandeln diesen Gegenstand H. B. Oppenheim, 
Staatsrechtliche Betrachtungen über Regierungsfähigkeit und Regentschaft mit 
besonderer Beziehung auf die Thronfolge in Hannover. Stuttgart 1844 (auch 
in Weil’s constit. Jahrb. B. II. 8. 269 ff.) und K. A. Tabor, Die körperliche 
Thronfolgefähigkeit in den deutschen Bundesstaaten (Zeitschr. für deutsches 
Recht B. IX. S. 255) 
15 *
	        
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