Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

350 1. Das Landesstaatsrecht. 
Staatensysteme. Zur Herstellung und Behauptung derselben gehört 
vor allem ein Kriegsheer. Ein solches kann, nach den heutigen 
europäischen Verhältnissen, in genügender Weise weder durch ge- 
worbene Söldner, noch durch ungeübte Milizen, sondern nur auf 
Giundlage der ernstlich durchgeführten allgemeinen Wehrpflicht 
geschaffen werden. Aus dem Lebensprinzip des Staates, Macht zu 
sein und sich als solche zu behaupten, folgt unmittelbar die Pflicht 
aller waffenfähigen Staatsbürger, diesem wichtigen Staatszwecke zu 
dienen. Da jeder Staatsgenosse an der Macht und Ehre seines 
Vaterlandes theil nimmt, da er als Glied den Aufgaben der Ge- 
sammtheit dienen muss, so ist er auch verpflichtet, nach den ge- 
setzlichen Vorschriften, den Kriegsdienst im nationalen Heere zu 
leisten, dessen der Staat nicht entbehren kann. Allerdings ist diese 
Anforderung des modernen Staates die schwerste, weil hier vom 
bürger die äusserste Hingabe seiner Persönlichkeit, ja selbst die 
Aufopferung seines Lebens verlangt werden kann. Für die Hingabe 
von Gesundheit und Leben ist aber kein Aequivalent denkbar. 
Darum ist Stellvertretung in der Wehrpflicht mit der Gleich- 
heit der Unterthanenlasten unverträglich. Zu der allgemeinen 
Wehrpflicht soll auch der wirklich durchgeführte allgemeine 
Waffendienst kommen, welcher das Gefühl männlicher Ehre 
im Volke grosszieht, die höchste Entfaltung kriegerischer National- 
kraft möglich macht und allein der Gerechtigkeit entspricht. 
Dieser Gedanke war in dem altgermanischen Staate, sowie in 
der fränkischen Monarchie, in dem Heerbanne ausgeprägt, wel- 
chem alle freien waffenfähigen Männer angehörten. Als die alte 
Gemeinfreiheit in dem Lehenswesen unterging, wurde der Waffen- 
dienst eine aristokratische Standesauszeichnung und die Kriegs- 
wie die Staatsverfassung wurde vom Geiste des Feudalismus durch- 
drungen. Nachdem aber die ritterliche Lehensmiliz durch die 
neuere Kriegführung unbrauchbar geworden war, behalfen sich die 
deutschen Landesherrn meist mit geworbenen inländischen und 
ausländischen Söldnern. Nach Reichsstaatsrecht waren die Unter- 
thanen nur zur Stellung der sehr geringen Reichs- und Kreiskon- 
tingente verpflichtet. Nur wenn diese durch Werbung nicht auf- 
zubringen waren, konnten die Unterthanen genöthigt werden, mit 
ihren eigenen Leibern zu dienen. Ausserdem konnte ein allgemeines 
Aufgebot in der Zeit der Noth zum Zwecke der Landesvertheidi- 
gung erfolgen (Landfolge! Eine weitergehende Verpflichtung
	        
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