Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

362 I. Das Landesstaatsrecht. 
Pflicht. Ueber das gesetzliche Mass können den Unterthanen keine 
weiteren Zumuthungen angesonnen werden. 
Diese vom Reiche angeordnete Wehrpflicht wird zunächst 
dem Einzelstaate geleistet, da das Reichsheer aus den Kontingenten 
derselben zusammengesetzt ıst. Aus der Einheit des deutschen 
Reichsheeres zieht das Gesetz vom 9. November 1867 $ 17 die Konse- 
quenz, dass jeder Deutsche nicht blos in seinem Heimathsstaate, 
sondern auch in jedem anderen Bundesstaate, in welchem er zur 
Zeit des Eintritts ın das militärpflichtige Alter seinen Wohnsitz hat, 
oder in welchen er vor erfolgter endgiltiger Entscheidung über seine 
aktive Dienstpflicht verzieht, seine Militärpflicht erfüllen kanr, und 
dass er seinem Heimathsstaate gegenüber von der Dienstpflicht frei 
wird, wenn er dieselbe in einem anderen Bundesstaate erfüllt hat 
(sogenannte militärische Freizügigkeit). 
$ 144. 
Die Steuerpflicht!. 
Seitdem der Staat sich die umfassendsten Aufgaben gestellt 
hat, seitdem die Geldwirthschaft fast durchweg an die Stelle der 
Naturalleistungen getreten ist, bedarf derselbe der umfassendsten 
Greeldmittel zu seiner Existenz. Soweit er dieselben nicht aus seinem 
eigenen Vermögen zu decken im Stande ist, wendet er sich um Bei- 
träge an das Privatvermögen seiner Bürger. Die Verpflichtung 
derselben zur Beisteuer folgt unmittelbar aus ihrer Staatsge- 
nossenschaft. In der ganzen Stellung der Bürger im Staats- 
organısmus, in ihrer nothwendigen Mitbetheiligung an den natio- 
nalen Aufgaben des Staatslebens, nicht in einer \Viedererstattungs- 
pflicht einzelner vom Staate gewährter Vortheile, nicht in einem 
fingirten Assekuranzverhältnisse der Vermögen durch den Staat, 
wie die ältere mechanische Staatslehre annahm, liegt der wahre 
Grund der staatsbürgerlichen Steuerpflicht. 
In dem unentwickelten Territorialstaate war der Unterthan nur 
soweit verpflichtet, Steuern zu geben, als er durch Herkommen oder 
speciellen Rechtstitel dazu verbunden war. Die allgemeine, unter- 
schiedslose, lediglich auf die Staatsgenossenschaft gegründete 
Steuerpflicht ist erst im modernen Staate zur Anerkennung ge- 
kommen. 
! Leist, Lehrbuch 8. 680. Bluntschli, BI. L.X. Kap. V. v. Held, 
B. II. S. 605 ff. Stahl, B. II. 8. 577 ff. Für Preussen von Rönne, a.a.0. 
$ 105. G. Meyer, $ 226. 8. 589.
	        
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