Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

4. Von den Körpern der Selbstverwaltung, besonders von den Gemeinden. 413 
im vorigen und auch in diesem Jahrhundert sich vielfach an der Selb- 
ständigkeit der Gemeinden versündigt hatte, hat dieselbe in dem 
letzten Menschenalter in gesundere Bahnen eingelenkt, obgleich 
es auch jetzt noch mannigfach an einer richtigen Würdigung der 
selbständigen Rechtssphäre der Gemeinden fehlt. 
Die Grundrechte der deutschen Gemeinden, wie 
sie in der deutschen Reichsverfassung von 1849 A. X1$ 184, den 
Verfassungsurkunden und den neuern Gemeindeordnungen der ein- 
zelnen Staaten gewissermassen als gemeines deutsches Gemeinde- 
recht anerkannt sind, lassen sich ın folgenden Sätzen zusammen- 
fassen, welche meistens schon praktisch geltendes Recht, überall 
wenigstens ein nicht länger zurückzuweisendes Postulat unserer 
modernen Rechtsentwicklung geworden sind: 
1) Die Gemeinden haben ihre selbständige Rechtssphäre auf 
dem Gebiete des öffentlichen , wie des privaten Rechtes. Auf dem 
privatrechtlichen Gebiete ist die Gemeinde, auch der Staatsgewalt 
gegenüber, hinreichend geschützt und ihr der Rechtsweg zur Ver- 
theidigung ihrer Rechte eingeräumt, wie jeder Privatperson; dage- 
gen ist der Rechtsschutz auf dem Gebiet des öffentlichen Rechtes 
noch sehr unvollkommen. So lange die nothwendige Aufsicht des 
Staates sich als eine fortwährende Bevormundung geltend macht, 
so lange die Staatsregierung jeder Zeit sich befugt ansieht, ihren 
Willen an die Stelle des Gemeindewillens zu setzen, so lange alle 
Kollisionen zwischen der öffentlichen Rechtssphäre der Gemeinde 
und der des Staates nicht nach Rechtsgrundsätzen gerichtlich ent- 
schieden, sondern den Zweckmässigkeitserwägungen der Verwal- 
tungsbehörden anheimgestellt werden, ist die gerühmte Selbständig- 
keit der Gemeinden mehr ein precarıum, als ein gesichertes Grund- 
recht. Erst wenn die Staatsaufsicht darauf beschränkt wird, »dass 
die Gemeinde ihren \Wirkungskreis nicht überschreite und nicht 
gegen die bestehenden Gesetze vorgehe«, erst wenn jene Kollisionen 
nicht nach Belieben von Verwaltungsbehörden erledigt, sondern 
nach Rechtsgrundsätzen von Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts 
entschieden werden, ıst die Gemeinde auch in ihrer Öffentlichen 
rechtlichen Sphäre als ein selbständiges Gemeinwesen hinreichend 
geschützt. 
2) Die Gemeinden haben ein, freilich sehr beschränktes Auto- 
nomierecht. \Vährend früher ihr jus statuendi die verschieden- 
sten Gebiete, besonders auch des Privatrechts, umfasste, ist jetztselbst 
das Verfassungsrecht der Gemeinden in allen wesentlichen Punkten
	        
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