Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

4. Von den Körpern der Selbstverwaltung, besonders von den Gemeinden. 419 
licher Unterschied. Seit dem Anfange des 13. Jahrhunderts war 
die Stadt, ihrem juristischen Begriffe nach, »eine äusserlich und 
innerlich vom platten Lande getrennte Gemeinde, mit einer Reihe 
wichtiger politischer und kommercieller Vorrechte, einem geschlos- 
senen Gebiete, einer besonderen städtischen Gerichtsbarkeit, Selbst- 
verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten und Autonomie«. 
Anfangs sassen ın den Städten wie auf dem Lande rechtlich 
verschiedene Menschenklassen nur räumlich nebeneinander, Schöf- 
fenbare und Gemeinfreie, bischöfliche Ministerialen, Hörige des 
Fiskus und derKirche. Durch die Vereinigung der grundherrlichen 
und öffentlichen Rechte in der Hand des Immunitätsherm wuchsen 
aber nach und nach die getrennten Menschenklassen zu einer recht- 
lichen Einheit, zu einer grossen Immunitätsgemeinde zusammen. 
welche in ihren unfreien Elementen das Hof- und Dienstrecht ab- 
streiften und zu einer Genossenschaft gleichberechtigter Freier 
wurden. Mit dem Grundsatz: »Stadtluft macht frei« entstand ein 
gleichheitlich freies Bürgerthum, der Keim unseres modernen 
Staatsbürgerthums (S. 392). Damit hängt eine Umgestaltung der 
inneren Stadtverfassung zusammen, welche sich überall ım 14. und 
15. Jahrhundert vollzieht. Nachdem die Städte sich im 13. Jahr- 
hundert von der Herrschaft der Stadtherrn emanzipirt hatten, war 
an die Stelle der monarchischen Verfassung eine arıistokra- 
tische der rathsfähigen Geschlechter getreten, welche das Stadt- 
regiment inne hatten und davon die unteren Klassen, besonders 
dıe Handwerker, völlig ausschlossen. Diese gewannen in ihren 
Zünften, Gaffeln oder Aemtern immer mehr an Kraft und Selbst- 
bewusstsein; so ist das ganze 14. und 15. Jahrhundert mit den 
Kämpfen zwischen Zünften und Geschlechtern ausgefüllt. \Wo der 
Sieg der Zünfte ein vollständiger war, wurde die Zunftverfassung 
zur Stadtverfassung, indem von allen Bürgern Eintritt in eine Zunft 
verlangt wurde. Anderwärts wurde dem alten Rathe ein weiterer 
von den Zünften gebildeter Rath an die Seite gesetzt, oder es wur- 
den Zünftige nach bestimmten Zahlenverhältnissen in den bisheri- 
gen Rath aufgenommen. Ueberall aber wurde die Stadtverfassung, 
in diesem dritten Stadium ihres Bestandes, mehr oder weniger de- 
mokratisirt. Damit hatte sich der Kreislauf der mittelaltrigen 
Stadtentwickelung vollzogen. 
Auf die Blüthe des deutschen Städtewesens folgte bald sein 
Verfall. Der dreissigjährige Krieg zerstörte mit dem Wohlstand 
auch die Selbständigkeit der Städte. Die Landesherren began-
	        
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