Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

30 1. Grundbegriffe des allgemeinen Staatsrechtes,. 
Kultur wachsen auch die Anforderungen der Menschen an den Staat. 
Man misst »die Civilisation« wesentlich nach den Leistungen 
des Staates für allgemeine Staatszwecke. Ausser dem Rechtsschutze 
liegt dem Staate der Schutz seiner Angehörigen und seines Gebietes 
gegen Angriffe von aussen und die Pflege der materiellen und geisti- 
gen Interessen des Volkes ob. Solche Aufgaben können nicht durch 
Aufstellung von Rechtsregeln gelöst werden. Es bedarf hier nicht 
abstrakter Sätze, sondern eines konkreten Handelns, eines Eingrei- 
fens und Befehlens für den einzelnen Fall. Wohl bilden die Ge- 
setze die Schranken, die negative Umzäunung der Verwaltungs- 
thätigkeit nach allen Seiten hin. aber innerhalb der gesetzlichen 
Schranken fasst sie mit voller Freiheit die ihr heilsam und zweck- 
mässig erscheinenden Beschlüsse. Von sich aus, nicht um ein 
Gesetz zu vollziehen. verhandelt sie mıt fremden Mächten, giebt 
Aufträge an ihre Unterthanen, errichtet Anstalten zur Förderung 
von Bildung und Wohlstand. emennt Beamte, verfügt über das 
Heer. Die Verwaltung ist die normale Verrichtung der Staatsge- 
walt, welche ununterbrochen thätig sein muss, während die beiden 
andern Funktionen. Gesetzgebung und Gericht, nur durch beson- 
dere Veranlassung in Ihätigkeit gesetzt werden; sie ist die Leitung 
der öffentlichen 'Thätigkeit für das Gemeinwohl, ihr Princip ist 
Zweckmässigkeit. Das \Wesen der Verwaltung liegt nicht im Voll- 
ziehen von Gesetzen, sondern in der Macht, ım einzelnen Fall das 
Gemeinnützige anzuordnen, das Gresammtwohl anzustreben und zu 
versorgen, den Staat zu schützen und nach aussen zu vertreten. Die 
Verwaltung wird durch die Gesetze nicht positiv bestimmt, sondern 
nur negativ begrenzt. Die Motive ihres Handelns entnimmt sie 
nicht den Gresetzen, sondern ihrer eigenen Auffassung von den 
Staatszwecken und der sachgemässen Verfolgung derselben. Wie 
der Privatmann seine Privatzwecke, so verfolgt sie die Staats- 
zwecke in eigner schöpferischer Thätigkeit, nicht positiv bestimmt 
durch die Gesetze, wohl aber gebunden an ihre Beobachtung und 
verpflichtet, dieselben nirgends durch ihre Thätigkeit zu verletzen. 
Eine »Verwaltung nach Gesetzen« bedeutet nicht eine Ver- 
waltung aus gesetzlichen Motiven, sondern eine Verwaltung inner- 
halb der gesetzlichen Schranken. 
In diesem verschiedenen Verhältnisse zum Gresetze liegt der 
tiefgreifende Unterschied zwischen der richterlichen Thätigkeit und 
der Verwaltung. Der von Stahl formulirte Satz. »dass für den 
Rechtsspruch das Gesetz Zweck. für die Verwaltung Schranke
	        
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