Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

4. Von den Körpern der Selbstverwaltung, besonders von den Gemeinden. 427 
die kleineren Gemeinfreien antrieb, ihr Eigenthum dahinzugeben 
und sich in den Schutz eines Grossen zu flüchten, erweiterte 
die Grundherrschaften immer mehr. Ueberail schieden die 
Grundherrn mit ihren Besitzungen aus dem Verbande der Dorf- 
genossenschaft aus, welche sich nur auf die Besitzer bäuerlicher 
Güter beschränkte. Die deutsche Landgemeinde wurde 
von nunan zur reinen Bauerngemeinde, welche überall 
von wesentlich gleicher Organisation war. Die Dorfgemeinde war 
eine Genossenschaft, welche auf Markgemeinschaft beruhte, wo das 
wirthschaftlich-privatrechtliche Element der Flurgemeinschaft mit 
demöffentlich-rechtlichen einer Rechts- und Friedensgenossenschaft 
verbunden war. Immer mehr trat indessen das persönliche 
Element der Genossenschaft gegen das dingliche des Grund- 
besitzes zurück. Ohne Hufenbesitz war ein Vollbauernrecht im 
Dorfe nicht denkbar. Die Landgemeinde wurde, besonders in den 
östlichen Theilen Deutschlands, immer mehr zur Realgemeinde, 
wo die Gemeindemitgliedschaft auf dem Besitze eines geschlosse- 
nen Bauerngutes beruhte. Als durch Theilung entstandene klei- 
nere Besitzungen unter das Maass der alten Bauernhufe herabsanken, 
gab es neben den Vollbauern /Huber, Vollspänner) minder- 
berechtigte Genossen (Halbbauern, Halbspänner, Antheils- 
bauern), deren Rechte und Pflichten in der Gemeinde sich nach 
der Grösse ihres Grundbesitzes richteten. Nur selten entwickelte 
sich in den Landgemeinden im Mittelalter ein repräsentatives Or- 
gan, ein Gemeinderath, wie in den Städten. Gewöhnlich erschien 
die Versammlung aller vollberechtigten Genossen als Gemeinde- 
versammlung, in welcher regelmässig das Princip der Stimmen- 
mehrheit zur Anwendung kam. {(Sachsensp. II, 55, Schwabensp. 
Lassb. c. 214). Hier wurden, wie in der alten Volksgemeinde, alle 
wichtigeren Angelegenheiten abgemacht; es wurde Urtheil gefun- 
den und Recht gewiesen, Beamten gewählt, autonomische Satzun- 
gen aufgestellt, über Annahme neuer Genossen entschieden. Ueber- 
all wurden die laufenden Geschäfte durch einen Gemeinde- 
vorstand besorgt, welcher unter dem Namen lauermeister, 
Örtsrichter, judex loci, Schultheiss, Schulze vorkommt. Als Be- 
vollmächtigter und Stellvertreter der Gemeinde, als Richter der 
Dorfgenossen, Vollstrecker der Gemeindebeschlüsse wurde er in 
allen freien Bauergemeinden im Mittelalter erwählt; in den 
grundherrlichen Dörfern dagegen, namentlich in den auf slavischem 
Kolonialboden entstandenen deutschen Gemeinden, von der Herr-
	        
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