Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

4. Von den Körpern der Selbstverwaltung, besonders von den Gemeinden. 435 
den Kommunalverband seit Jahrhunderten ausgebildet und erhalten 
haben. Nach der im Jahre 1822 ihnen gegebenen neuen Einrich- 
tung sind sie Korporationen, welche lediglich von den Gemeinden 
des Amtsbezirkes gebildet werden. Die Amtskörperschaft wird 
vertreten durch die aus Abgeordneten der Amtsgemeinden, und zwar 
theils aus ihren ersten Vorstehern, theils besonderen Deputirten der 
Gemeinderäthe zusammengesetzte, vom Oberamtmann geleitete 
Amtsversammlung. Das Oberamt ist ein staatlicher Verwal- 
tungsbezirk, verbindet aber damit die Stellung einer kommunalen 
Körperschaft. In manchen kleineren Staaten kommen solche Amts- 
gemeinden noch in verschiedenartiger Gestalt und Kompetenz mit 
mehr oder weniger entwickeltem kommunalen Charakter vor; so in 
Sachsen-Meiningen, Verfassungurkunde 1829 $ 24 : »Die Ge- 
meinden eines Amtes bilden eine Amtsgemeinde zu gemeinschaft- 
licher Besorgung der dazu bestimmten Angelegenheiten«; so in 
Oldenburg, revidirte Verfassungsurkunde 1852 A. 73: »Die Ge- 
meinden eines bestimmten Bezirkes sollen zu einem grösseren Ver- 
bande zusammentreten,, dessen Verfassung möglichst nach densel- 
ben Grundsätzen und Grundlagen, wie die Verfassung jener geord- 
net wird.« Eine besonders freie Stellung nehmen die Amtsgemeinden 
Braunschweigs ein (Braunschweigische Landgemeindeordnung vom 
19. März 1850 $ 129— 160), welche durch die für jedes Amt von den 
Gemeinderäthen gewählten Amtsräthe vertreten werden. Als eın 
selbständiges Organ der dem Amte angehörigen Gemeinden für alle 
Angelegenheiten, welche sich über die Grenzen der einzelnen Ge- 
meinden erstrecken, aber nicht als allgemeine Angelegenheiten be- 
trachtet werden können ‚« bringen diese Amtsräthe die Rechtsper- 
sönlichkeit der Amtsgemeinde, im privaten, wıe ım öffentlichen 
Rechte, zur Erscheinung; sie können im Namen des Amtsverbandes 
gültige Beschlüsse fassen, Umlagen und Lasten auferlegen, Anlei- 
hen aufnehmen und sonstige Rechtsgeschäfte abschliessen, sie.haben 
bei der Aufsicht des Staates über die Ortsgemeinden mitzuwirken 
und in gesetzlich bestimmten Fällen die Entscheidung zu geben und 
Zustimmung zu ertheilen, sie verwalten das Amtsarmenwesen und 
nehmen an der Landespolizei Theil. (Gierke, a. a. O.S. 800.) 
In dieser Organisation der nächst höheren Verbände über den Orts- 
gemeinden, so unvollkommen sie hie und da noch sind, zeigen sich 
zukunftsreiche Keime eines erweiterten selbständigen Kommunal- 
lebens, in welchem besonders unsere kleinen, in ihrer Isolirung
	        
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