454 I. Das Landesstaatsrecht.
präsentativverfassung am nächsten und zeigte den Weg, auf welchem
sich die ständische Verfassung organisch in eine Volksvertretung
hätte umsetzen können. Aber auch diese Verfassung wurde am An-
fange dieses Jahrhunderts im Jahre 1805 durch einen Gewaltakt
beseitigt. Als das alte Reich deutscher Nation im Jahre 1806 völlig
zur Neige ging, war die landständische Institution auf deutschem
Boden so gut wie verschwunden. Eine unmittelbare Rechtskonti-
nuität zwischen den alten Landständen und der modernen Volks-
vertretung ist daher nicht anzunehmen, aber ebensowenig kann ge-
läugnet werden, dass derselbe Rechtsgedanke, welcher in der land-
ständischen Institution einst so mächtig sich verwirklicht hatte —
aktive Theilnahme der Beherrschten an den wichtigsten Angelegen-
heiten der Gesammtheit durch ein verfassungsmässiges Organ —
auch in der Volksvertretung der Gegenwart in verjüngter Gestalt
zur Geltung kommt. Immerhin fand die durch allgemeine staats-
rechtliche Ideen, sowie durch ausländische Vorbilder beeinflusste
Zeitrichtung in dem geschichtlichen Bestand der landständischen
Institution einen wichtigen Anknüpfungspunkt selbst für die äussere
Form ihrer staatlichen Neuschöpfungen.
8.172.
3) Die moderne Volksvertretung seit den Freiheitskriegen.
Als mit den siegreich beendeten Freiheitskriegen in Deutsch-
land ım Volke auch das politische Selbstbewusstsein wieder er-
wachte, zweifelte damals wenigstens niemand daran, dass man an
die alten landständischen Institutionen anzuknüpfen, dass man die-
selben in zeitgemässer Form wieder zu beleben habe. War auch
die Gliederung des Volkes in die alten Stände schon damals ein
wesentlich überwundener Standpunkt, so war man doch einmal an
diese Vertretungsform gewöhnt und glaubte sie durch Heranziehung
des bisher unvertretenen Bauernstandes zeitgemäss vervollständigen
zu können. Die schon seit der Reformation vielfach verschwun-
denen oder wenigstens abgeschwächten Prälatenkurien fielen jetzt
meist hinweg. Rittergutsbesitzer, bei denen Jetzt übrigens meist
der Adelsnachweis hinwegfiel, Bürger und Bauern waren in den
meisten kleinern Staaten die Wählerklassen zum Landtag. In den
grössern Staaten, wo zahlreiche Standesherrn und sonstige arısto-
kratische Elemente vorhanden waren, adoptirte man meist das
Zweikammersystem. Obgleich man sich so in Betreff der Zu-