Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Von der Volksvertretung oder dem Landtage. 461 
III. Zusammensetzung der \Volksvertretung. 
8 174. 
Das Zweikammersystem!. 
In den ältern landständischen Körperschaften bestanden mei- 
stens mehrere für sich berathende und beschliessende Kurien neben- 
einander, welche in ihrer Einheit den Landtag ausmachten. Die 
Zahl der Kurien war verschieden, gewöhnlich waren es Ihrer drei: 
Prälaten, Ritter, Städte. In den grössern Territorien kam 
noch eine Herrenkurie hinzu, hie und da war auch der Bauern- 
stand vertreten. In der altwürttembergischen Verfassung, wo es 
an einer Ritterkurie fehlte, sassen Prälaten und Abgeordnete der 
Aemter auf verschiedenen Bänken, bildeten aber einen einzigen 
Abstimmungskörper, welcher nach Majorität beschloss. 
Durch eine besondere geschichtliche Entwickelung hatte sich 
sehr früh in England die Eiutheilung des Parlaments in zwei Häuser 
herausgebildet, indem zum concilium magnum der Lords seit König 
Eduard I. das llaus der Gemeinen hinzutrat, in welchem sıch die 
Ritter der Grafschaft mit den Vertretern der Städte vereinigten. 
Seitdem die englische Verfassung das Vorbild aller gesitteten Völker 
der alten und neuen Welt geworden ist, hat diese Eintheilung der 
Volksvertretung in zwei Häuser überall Eingang gefunden. Gegen- 
wärtig besitzen sie nicht nur alle grösseın konstitutionellen Monar- 
chieen, sondern dieselbe ist auch in das republikanische Staatsrecht 
übergegangen. Ju Deutschland fand diese Form der Volksvertretung 
leicht Eingang, weil sie sich an das Kuriensystem der alten Landtage 
anknüpfen liess und durch das massgebende Vorbild Englands, so- 
wie der französischen charte constitutionelle vom 4. Juni 1814 em- 
pfohlen wurde. Sämmtliche grössern und mittlern Staaten haben 
das Zweikammersystem angenommen, so Preussen, Bayern, Sach- 
1 Epochemachend für das Zweikammersystem auf dem Kontinente wurde 
Montesquieu, L’esprit des lois, Kap. VI. B. XI. Für das Zweikammersystem 
sprechen sich fast alle bedeutenden politischen Denker aus: de Lolme, Const. 
of England. B. I. ch. 3. Benjamin Constant, Cours de politique const. T. I. 
ch. 4. Dahlmann, Politik S. 131 ff. Frhr. v. Stein, (Pertz, Leben B. V. 
S. 35., Franz Lieber, Ueber bürgerliche Freiheit $. 163—169. {Vom republi- 
kanisch-amerikanischen Standpunkte.) Staatsrechtlich zu vergleichen: Stahl, 
a.a.O.B. II. Abth. 2. 8.119 ff. Bluntschli, Allg. Staatsr. B. V. Kap. 6, 
Zöpfl, Grundsätze B. II. $ 360. 8. 290. v. Held, B. II. S. 464 —472. 
H.A. Zachariä, D. St. u. BR. B.I. $113, S. 629.
	        
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