464 I. Das Landesstaatsrecht.
die Prälatenkurien der alten Landstände, wurden hohe Würden-
träger der Kirche in die erste Kammer gezogen, so in Bayern.
Baden, Hessen-Darmstadt, Sachsen. Zu den katholischen Bischöfen
kamen höhere evangelische Geistliche, Generalsuperintendenten,
Prälaten. Eine Anomalie ist es, dass in der württembergischen Ver-
fassung der Landesbischof ın die zweite Kammer verwiesen ist.
Den Universitäten wurde bald in der ersten, bald in der zwei-
ten Kammer eine Vertretung gegeben. Ausserdem wurde dem
Staatsoberhaupte regelmässig das Brecht eingeräumt, einzelne her-
vorragende Männer ohne jede Rücksicht auf Beruf und Stand, auf
Lebenszeit aus Allerhöchstem Vertrauen «) in die Kammer zu be-
rufen, doch wurde regelmässig diese Zahl beschränkt oder sollte
wenigstens einen bestimmten Procentsatz der erblichen Mitglieder
nicht übersteigen. In mehreren Staaten wurden auch die Vertreter
der grossen Städte in die erste Kammer gezogen. In Preussen
giebt es nur erbliche oder auf Lebenszeit berufene Mitglieder des
Herrenhauses. Die mit einem Präsentationsrechte versehenen Ver-
bände haben kein Wahlrecht, sondern nur das Recht, der Krone
einen Vorschlag zu machen. Auch für die präsentirten Mitglieder
ist in Preussen die königliche Ernennung der einzige Rechtsgrund
ihrer Mitgliedschaft.
Zur Ausübung des Stimmrechtes in der ersten Kammer ist das
Vorhandensein gewisser Eigenschaften nothwendig, welche ebenso
von den Mitgliedern der zweiten Kammer erfordert werden: Staats-
angehörigkeit, ein bestimmtes Alter (gewöhnlich das vollendete
30. Jahr, bei den Prinzen des llauses genügt die Volljährigkeit
Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte. Abwesenheit gewisser Hinder-
nisse, wie das Stehen unter Kuratel, Konkurs, Staatsdienst bei einem
ausserdeutschen Staate, Wohnsitz innerhalb des betref-
fenden Staates!. Wo nicht besondere Verfassungsbestimmungen
i Dies wird z. B. von den Mitgliedern des preussischen Herrenhauses aus-
drücklich verlangt. Durch Verlegung des Wohnsitzes ausserhalb Preussens
geht die Mitgliedschaft nicht verloren, aber das Stimmrecht ist so lange sus-
pendirt, bis das betreffende Mitglied seinen Wohnsitz wieder in Preussen ein-
nimmt. Daher kann es nicht gebilligt werden, wenn G. Meyer, a.a.0. 8. 221
sagt: »W'o die Einzelverfassungen Wohnsitz innerhalb des betreffenden Staates
vorschreiben, genügt jetzt ein Wohnsitz im deutschen Reiche. Für die
Ausübung der aktiven staatsbürgerlichen Rechte in einem Einzelstaate ist jede
Landesverfassung berechtigt, Wohnsitz innerhalb ihres Staatsgebietes zu for-
dern, ohne dadurch mit dem Freizügigkeitsgesetze in Widerspruch zu treten.
Dagegen wäre es allerdings der engern Verbindung der deutschen Staate unter-
einander entsprechend, wenn man sich auch zur Ausübung des Stimmrechtes
mit dem Wohnsitze innerhalb des deutschen Reiches begnügte.