Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

3. Von der Verschiedenheit der Staaten nach ihrer Verfassungsform. 35 
in welcher die Staatsgewalt nach Geblütsrecht erworben wird, von 
der Wahlmonarchie, in welcher der Träger der höchsten Ge- 
walt durch irgend eine Form der Wahl bestimmt wird. Obgleich 
die Wahl mit dem Wesen der Monarchie nicht absolut unverträg- 
lich erscheint, so entspricht doch die Succession nach Geblütsrecht 
entschieden mehr der selbständigen Natur der monarchischen Ge- 
walt und sind gegenwärtig alle europäischen Monarchien Erbmo- 
narchien geworden. Die Wahlmonarchie, als antiquirte Form, 
kommt «daher praktisch nicht mehr in Betracht. 
Von viel grösserer Bedeutung ist die Verschiedenheit der Mo- 
narchien in Betreff des Umfanges der monarchischen Staats- 
gewalt und des Verhältnisses des Herrschers zum beherrschten 
Volke. Zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern 
hat allerdings der Wille des Monarchen als der alleinige Faktor ım 
Staatsleben gegolten, so dass die ganze öffentliche RRechtsorduuug 
in letzter Instanz von seinem Belieben abhing (absolute oder unum- 
schränkte Monarchie). In dieser Weise stellt sich besonders die 
Monarchie bei den orientalischen Völkern als Despotie dar, wo 
alles Recht in dem Monarchen dergestalt vereinigt ist, dass ausser 
ıhm und ihm gegenüber niemand ein festes Recht hat. Die orienta- 
lische Despotie überspannt dermassen die Macht des Menschen. dass 
sie sich durelı ein theokratisches Princip zu rechtfertigen suchen 
ınuss. Bei den europäischen Völkern tritt die Monarchie nur da m 
dieser Gestalt auf, wo ein Volksleben sich geschichtlich ausgelebt 
hat oder sich in einem Uebergangszustande befindet. Das erste war 
bei den Römern der Fall, als das Cäsarenthum sich zur schranken- 
losen Selbstherrschaft steigerte, das zweite fand am Ende des Mittel- 
alters statt, wo der Absolutismus den Uebergang vom Feuldalstaate 
zur modernen Staatsordnung zu bahnen berufen war [neuere abso- 
lute Monarchie — Höhepunkt unter Philipp HH. und Ludwig XIV.). 
Ueberall stützte sich diese absolute Richtung auf romanıstische Ideen 
pprinceps legibus solutus est«, »quod principi placuit, legis habet 
vigorem«), stand aber in grellem Widerspruche mit der Rechtsan- 
schauung der germanischen Völker. 
Das mit Volksfreiheit gepaarte Königthum ist der 
grosse Staatsgedanke, welchen die Germanen in die Weltgeschichte 
eingeführt haben. Schon in der Germania (des Tacıtus ist derselbe 
mit den Worten angedeutet: »nec regibus infinita ac libera potestas«. 
Immer und überall steht dem Volke ein bestimmt geregelter Antheil 
an den Funktionen der Staatsgewalt zu. Zusammenwirken von 
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