Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

1. Von der Gesetzgebung. 517 
Vorkommnisse erstreckt werden kann. Zum Begriffe des Gesetzes 
gehört die Allgemeinheit der Regel. Es verwirrt den begriff- 
lichen Unterschied, wenn man die sog. constitutiones personales 
oder die Privilegienertheilungen als Specialgesetze bezeichnet 
und unter der Lehre von der Gesetzgebung abhandelt. Es ıst mög- 
lich, dass ein Gesetz thatsächlich nur einmal, vielleicht niemals zur 
Anwendung kommt; dies schadet dem Begriffe des Gesetzes eben 
so wenig, als wenn es sich nur auf einzelne Klassen der Staatsbürger, 
Soldaten, Frauen, Minderjährige, Kaufleute erstreckt (jus singulare) 
oder wenn es nur für einzelne Theile des Staatsgebietes erlassen ist 
(lokale Gesetze). Dem Begriffe der Allgemeinheit ist genügt, 
wenn sich der Regel eine Anzahl von Fällen unterzuordnen hat, 
welche ihren Merkmalen nach logisch darunter fallen. In der 
Gesetzgebung offenbart der Staat seine obrigkeit- 
liche Autoritätin der Formabstrakter Normen, in der 
Verfügung regelt er individuell bestimmte That- 
beständel. 
3) Die allgemeine Vorschrift, welche das Gesetz ausspricht, 
muss eine wirkliche Rechtsregel sein, nicht bloss ein logischer 
Satz, ein wissenschaftliches Axiom. Allgemeine Empfehlungen ge- 
wisser landwirthschaftlicher Kulturarten, gewisser Gesundheitsmass- 
regeln, wie sie besonders früher von den Regierungen häufig aus- 
zugehen pflegten, sind eben so wenig Gesetze, als Ansprachen und 
Proklamationen der Herrscher, wenn darin auch noch so wichtige 
Grundsätze verkündigt werden. Das Gesetz muss sich mit seinem 
Befehle an die Unterthanen wenden, ihnen kraft obrigkeitlicher 
Autorität etwas anbefehlen, was sie kraft ıhrer Unterthanen- 
eigenschaft zu befolgen haben. Ihrem Inhalte nach beziehen 
sich die Gesetze auf den Organismus des Staates in seiner Gesammt- 
heit, auf das Verhältniss der Staatsgewalt zu den Staatsbürgern oder 
auf die Verhältnisse der letzteren unter einander. Zum Wesen einer 
Rechtsregel gehört aber auch die staatliche Erzwingbarkeit der 
Norm. Wenn es neben dem absoluten Rechte, besonders auf dem 
  
  
! Trotz der Polemik Laband’s B.II. S. 3 bleibe ich meinen früheren 
Ausführungen treu und halte an dem Merkmale der Allgemeinheit für den 
Begriff des Gesetzes fest. Ich freue mich, darin mit G. Meyer überein- 
zustimmen, welcher in einem Aufsatze: »Der Begriff des Gesetzes und die 
rechtliche Natur des Staatshaushaltes (Grünhut, Zeitschr. B. VII. S. 15 ff.) 
darthut, dass nicht nur alle Civilisten, sondern auch die bedeutendsten Staats- 
rechtslehrer, von Pütter bis auf Gerber, die Allgemeinheit der Regel als ein 
wesentliches Merkmal des Gesetzesim eigentlichen Sinne aufstellen. 
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