Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Von der Justiz. 555 
Ausnahme des Reichsgerichtes als Behörden der Einzelstaaten 
betrachtet werden müssen, doch durch die Gleichmässigkeit ihrer 
Einrichtung und Zuständigkeit zu einem grossartigen einheitlichen 
Gesammtorganismus der Rechtspflege verbunden. Aber 
auch die wichtigsten Fundamentalsätze der deutschen Justiz. 
welche sonst nur in den Verfassungen der Einzelstaaten verbrieft 
waren, haben jetzt eine einheitliche reichsgesetzliche Sanktion er- 
halten. 
8 197. 
V, Die Fundamentalsätze der deutschen Justiz. 
Im Allgemeinen. 
Der ausgeprägte Rechtssinn der Deutschen hat schon zu 
Reichszeiten gewisse gemeinrechtliche Fundamentalsätze der 
Justiz zur Anerkennung gebracht, welche dann in diesem Jahrhun- 
dert in den Verfassungsurkunden und der Gesetzgebung ihre wei- 
tere Entwickelung gefunden haben. \Vährend das ganze technische 
Detail des gerichtlichen Verfahrens in die Lehre vom Processe ge- 
hört, sind diese Grundsätze im Staatsrechte zu erörtern; denn 
ihre Bedeutung liegt wesentlich darin, dass einerseits der Staat 
selbst, als Träger der Rechtsordnung, die Pflicht hat, dafür zu 
sorgen, dass eine der materiellen Gerechtigkeit möglichst ent- 
sprechende Rechtspflege geübt werde, dass andererseits den Staats- 
bürgern möglichst sichere Garantien dafür geboten werden, dass 
die Gerichte in ihrer völlig unabhängigen Beurtheilungsweise des 
einzelnen Falles nicht durch andere fremdartige Einflüsse gestört 
werden. Dieser zwiefache Standpunkt zeigt sich darin, dass die 
modernen Verfassungen diese allgemeinen Grundsätze von der 
Justiz bald unter den Grundrechten der Staatsbürger, bald in einem 
besonderen Abschnitte von der richterlichen Gewalt behandeln. 
Jedenfalls zeigt die Aufnahme derselben in die Verfassungsurkun- 
den, dass man sie nicht bloss als processualische Bestimmungen, 
sondern als staatsrechtliche Fundamentalsätze ansieht. Eine neue 
gemeinrechtliche Sanktion für ganz Deutschland haben dieselben 
dadurch erhalten, dass das Reichsgerichtsverfassungsgesetz diese 
Hauptgrundsätze der Rechtspflege in sich aufgenommen hat. Wenn 
dieselben auch formell nicht integrirende Bestandtheile der Reichs- 
verfassung geworden sind, so sind sie doch ihrer materiellen Be-
	        
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