Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Yon der Justiz. 565 
hörig erfolgt sei. Dieser Einwand ist aber nicht stichhaltig. Die 
Verfassungsurkunden bestimmen vielmehr durchweg, dass jede 
Kammer über ihre Konstituirung, die Legitimation ihrer Mit- 
glieder, ihre Geschäftsordnung endgültig zu entscheiden hat. 
Das Zustandekommen ihrer Beschlüsse ist em Internum ihrer 
Kollegialverfassung, in welches sich kein Gericht einzu- 
mischen hat. In diesem Sinne haben, wie Gneist gründlich 
ausgeführt hat, auch in England die Gerichte stets solche Formen 
als innere Angelegenheit der Häuser angesehen und sich 
damit begnügt, dass der zustimmende Beschluss der beiden Häuser 
und die Sanktıon der Krone feststand. 
Wenn die hier entwickelten Grundsätze auf der juristischen 
Natur der Sache, wie auf der deutschen Gerichtsverfassung beruhen 
und somit gemeinen Rechtes sind, so ist doch die Anwendung der- 
selben durch die positiv-rechtlichen Bestimmungen einzelner \er- 
fassungen ausgeschlossen. So bestimmt namentlich die preussische 
Verfassungsurkunde Art. 106, welcher das Oldenburgische Staats- 
grundgesetz Art. 141, das Schwarzburg-Rudolstädtische Grund- 
gesetz $ 26, das Schwarzburg-Sondershausensche Landesgrund- 
gesetz $ 41 u. s. w. gefolgt sind, »dass Gesetze und Verord- 
nungen verbindlich sein sollen, wenn sieinder vom 
Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht 
sind, und dass die Prüfung der Rechtsgültigkeit ge- 
hörig verkündigter königlicher Verordnungen nicht 
den Behörden, sondern nur den Kammern zusteht!. 
Danach beschränkt sich hier das Prüfungsrecht aller Behörden, 
auch der Gerichte, lediglich auf die Frage, ob die formellen Er- 
fordernisse der Publikation in der Gesetzsammlung und der Kontra- 
signatur eines verantwortlichen Ministers vorliegen!. 
Die deutsche Reichsverfassung hat über das Prüfungsrecht des 
Richters hinsichtlich der Reichsgesetze und Reichsverordnungen 
nicht ausdrücklich gesprochen. Es bleibt daher bei den oben ent- 
  
  
I Fr. Förster a. a. O. S. 33 sagt: »Der preussische Richter muss jede 
königliche Verordnung befolgen, wenn sie nur gehörig bekannt gemacht worden 
ist. Die gehörige Bekanntmachung hat er unbedingt zu prüfen. Sein juristisches 
Dasein enthält hiernach das Gesetz durch die königliche Verordnung, welcher 
die Gegenzeichnung eines Ministers hinzutreten muss, zweitens durch die Ver- 
öffentlichung.« Das Nähere über die Geschichte des Art. 106 in meinem preussi- 
schen Staatsr. $175. S. 245 ff. Merkwürdig ist, dass die sonst vorbildliche 
belgische Verfassung Art. 107 die entgegengesetzte Vorschrift enthält: »Les 
cours et tribunaux n’appliqueront les arr&t&s et reglements generaux, provinciaux 
et locaux, qu’autant, qu’ils seront conformes aux lois«, 
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