Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

566 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus. 
wickelten gemeinrechtlichen Grundsätzen des deutschen Staats- 
rechtes. Der Richter hat demnach selbständig zu prüfen: 1) ob 
ein Reichsgesetz verfassungsmässig zu Stande gekommen ist, 2) ob 
eine Reichsverordnung gesetzmässig ist. Auch das Verhält- 
niss von Reichsrecht und Landesrecht unterliegt 
seiner Prüfung. Da nach der Reichsverfassung die Reichs- 
gesetze im Konfliktsfalle, als absolut gemeines Recht, den Landes- 
gesetzen vorgehen, so ist auch der Richter verpflichtet und berechtigt, 
zu prüfen, ob ein von ıhm zur Anwendung zu bringendes Landes- 
gesetz in Einklang mit den Reichsgesetzen steht; findet er, dass 
dies bei einer landesgesetzlichen Vorschrift nicht der Fall ıst, so hat 
er dieselbe als ungültig nicht zur Anwendung zu bringen !. 
$ 201. 
VI. Gerichtsherrliche Rechte der Krone. 
In allen deutschmonarchischen Staaten ist der Landesherr auch 
Inhaber der richterlichen Gewalt; aber nach den Grundsätzen der 
deutschen Justiz übt er dieselbe durch die Gerichte aus, welche 
innerhalb ihrer eigentlichen richterlichen Thätigkeit unabhängig 
sind von den Weisungen des Staatsoberhauptes und seiner Ver- 
waltungsbehörden. Diese Unabhängigkeit der Gerichte bezieht sich 
nur auf die eigentliche richterliche Funktion derselben, nicht auf 
ihre sonstige Geschäftsführung, die sogenannte Justizver- 
waltung ım Gegensatz zur eigentlichen Rechtsprechung. In Be- 
treff ersterer steht der Krone ein verfassungsmässiger Einfluss auf 
die Geschäftsführung der Gerichte zu, welchen sie durch das Justiz- 
ministerium ausübt. Dies ist ım konstitutionellen Staate das 
höchste Centralorgan der Justizverwaltung, welchem in dieser 
Beziehung alle Landesgerichte untergeordnet sind. Die Befugnisse 
dieser Art sind: 
I) Die Besetzungaller Gerichte durch den Landes- 
herrn; Wahlrecht und Präsentation findet nirgends mehr statt. 
Abgesehen von den durch den Kaiser zu ernennenden Mitgliedern 
des Reichsgerichts, haben jetzt die Landesregierungen alleın die 
Richter zu ernennen, doch sind sie dabei an die reichsgerichtlichen 
!v. Holtzendorff, Reichsstrafrecht und Landesstrafrecht in Deutsch- 
land. Leipzig 1871. S.16 fl. R. Heinze, Das Verhältniss des Reichsstraf- 
rechts zum Landesstrafrecht. Leipzig 1871. 8.25 ff. Fr. Förster, Theorie 
und Praxis B.1.$9. S. 34. Anm. 2.
	        
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