Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

570 Il. Von den Funktionen des Staatsorganismus. 
Doktrin auferlegten Beschränkungen. Es stellt sich bereits im Staats- 
rechte des vorigen Jahrhunderts, als ein allein und unbeschränkt 
dem Landesherrn, ın Betreff aller innerhalb seines Territoriums 
begangenen Verbrechen auszuübendes Recht dar, welches folgende 
Befugnisse in sich begreift: 
a) Das Recht der Abolıition, Niederschlagung der Unter- 
suchung, wodurch der gegen jemand angestellte peinliche Process, 
bevor noch das Endurtheil vom Richter gesprochen ist, gänzlich 
aufgehoben wird; b) das Begnadigungsrecht im engern Sinn, 
jus aggratiandi, wodurch ein Verbrecher von der ihm durch das 
richterliche Urtheil zuerkannten Strafe völlig befreit wird; c) das 
Milderungsrecht, jus mitigandi ex capite gratiae, wodurch die 
zuerkannte Strafe zum Theil erlassen oder in eine mildere verwandelt 
wird; d) das Recht der Restitution, wodurch die gesetz- 
lichen Folgen der erkannten Strafe ganz oder theilweise auf- 
gehoben werden. Dabei ist es einerlei, ob diese Folgen vor, bei 
oder nach der Erduldung der erkannten Strafe aufgehoben werden; 
e) die Amnestie bezieht sich auf eine ganze Kategorie von straf- 
baren Handlungen; dieselbe ist eine Verbindung von Begnadigung 
und Abolition in einer grösseren Ausdehnung und ohne weiteres 
Eingehen auf einzelne Fälle und begreift im Zweifel nicht nur die 
Erlassung der Strafe, sondern auch sämmtlicher rechtlicher Folgen 
der Anschuldigung und Verurtheilung in sich, sie bezeichnet ein 
vollständiges Vergessen des Geschehenen, lex oblivionis. 
Nach der Auflösung des deutschen Reiches blieb selbstverständ- 
lich dem deutschen Landesherrn das Begnadigungsrecht, welches 
auch in den neuen Verfassungsurkunden seine ausdrückliche An- 
erkennung gefunden hat!. Auch nach den neuesten Reichsjustiz- 
gesetzen steht dem Landesherrn oder Senate das Recht der Be- 
gnadigung hinsichtlich der von den Gerichten seines 
Landeserkannten Strafen zu. Todesurtheile dürfen erst voll- 
streckt werden, wenn die Entschliessung des Monarchen ergangen 
ist, von dem Begnadigungsrechte keinen Gebrauch machen zu 
wollen. Dagegen ist die bis dahin in mehreren Staaten zur Voll- 
streckung des Todesurtheils nothwendige Bestätigung des Monarchen 
i Preuss. Verfassungsurkunde Art. 49. Bayern Tit. VIII.$4. K. Sachsen 
652. Württemberg $ 97. Braunschweig Neue Landesordnung $ 208. Olden- 
burg Art. 10. Sachsen-Meiningen $ 106. Für die Freien Städte wird es dem 
Senate beigelegt. Lübeck Art. 18. Bremen $ 57. Hamburg Art. 24.
	        
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