634 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
haben, wenn sie ihren hohen Aufgaben vollkommen genügen will.
Aber negativ zieht ihr das Gesetz die Schranken (S. 30); ihre
freie Bewegung liegt innerhalb des Rahmens der Gesetze.
Das Postulat einer »sgesetzlichen Verwaltung« bedeutet nicht
eine Verwaltung, welche den Gesetzen ihre Motive entnimmt,
sondern eine Verwaltung, welche sich in ihrer Aktion nie über die
Schranken des Gesetzes hinwegsetzt. In dem absoluten Staate sind
diese Schranken sehr elastisch und weit gezogen ; man spricht da-
selbst nicht selten von einer »Ömnipotenz der Polizeic. Mit der
Ausbildung des konstitutionellen Staates entwickelt sich aber auf
allen Gebieten der Verwaltung eine immer mehr ıns Einzelne gehende
Gesetzgebung, welche die Verwaltung gesetzlich bindet. Dieselbe
ist besonders darauf gerichtet, die Rechtssphäre der Bürger gegen
die Willkür der Polizei-, Finanz- und Militärbehörden zu schützen,
sie wıll denselben die nothwendige Freiheit der Aktion nicht ver-
kümmern, wohl aber ihr soweit gesetzliche Schranken ziehen, dass
das Individuum ihrem Ermessen gegenüber nicht rechtlos dastehe.
Dies ist die wesentliche Aufgabe des sich immer mehr entwickelnden
Verwaltungsrechtes, welches aber nicht dabei stehen bleiben
darf, materielle Rechtssätze zum Schutze der individuellen Rechts-
sphäre aufzustellen, sondern zugleich Rechtsmittel schaffen muss,
welche Abhülfe treffen, wenn die obengenannten staatlichen Be-
hörden, trotz der schützenden Gesetze, sich nicht abhalten lassen,
in die individuelle Rechtssphäre einzugreifen. Where is alaw, there
must be a remedy. Gegen Eingriffe einzelner Privatpersonen,
mögen diese ein civiles oder kriminelles Unrecht involviren,
von England. Art. I. in Aegidi’s Zeitschr. für Staatsr. B. I. S. 275—351.
Derselbe, Das Verwaltungsrecht inHoltzendorff’s Encyklopädie (III. Aufl.
S. 885970. Ueber Verwaltungsgerichtsbarkeit bei den Römern vergl. Th.
Mommsen, Römisches Staatsr. (II. Aufl.) B.I. S. 162—1852: Die Administrativ-
gerichtsbarkeit Ueber Frankreich bes. R. Darreste, la justice administra-
tire en France. Paris 1862. Jonas, Studien aus dem Gebiete des franz. Civil-
rechtes und Civilprocesses. Berlin 1870. (V. Studie: Die Organisation der Ad-
ministrativjustiz in Frankreich S. 380—461.) Bei weitem das Gründlichste über
Frankreich bietet jetzt E. Löning, Die französische Verwaltungsgerichtsbar-
keit. (InHartmann’s Zeitschr. B.V. H.4. S. 339—379. B. VI. H. 1. S. 12—49.
S. 183—199. S. 308—335.) Hier wird besonders die Bedeutung der Verwaltungs-
gerichtsbarkeit des Staatsrathes geschichtlich entwickelt und praktisch dargelegt.
Das Verdienst, das gesammte Gebiet der Verwaltungsrechtspflege zum ersten
Male streng juristisch und systematisch dargestellt zu haben, besonders mit einer
eingchenden Kasuistik auf die einzelnen Gegenstände der Verwaltungspflege,
gebührt O. v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege.
Tübingen 18S0.