658 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
zweier Jahrzehnte vollzogen. Durch sie haben die öffentlichen
Rechte einen ebenso sicheren Schutz gefunden, wie bisher nur die
Privatrechte. Durch sie ist der Polizeistaat innerlich überwunden,
indem eine feste Grenzlinie zwischen der subjektiven Rechts-
sphäre und den Anforderungen der Verwaltungsbehörden durch ein
immer mehr sich befestigendes Verwaltungsrecht gezogen und die
Einhaltung dieser Linie durch unabhängige Gerichte geschützt ist.
Die früher kaum verstandene Idee einer Rechtsprechung des öffent-
lichen Rechtes ist zu einem Gemeingute der deutschen Wissenschaft
geworden. Ueberall hat sıe sich, trotz der kurzen Zeit ihres Be-
stehens, bewährt und bereits praktisch eingelebt. Vor diesem Er-
folge sind ihre Gegner fast verstummt. Niemand möchte mehr die
Entscheidung der Verwaltungsrechtssachen dem Ermessen der Ver-
waltungsbehörden zurückgeben. Nur vereinzelte Stimmen sind es
noch, welche die Gerichtsbarkeit des Öffentlichen Rechtes den
ordentlichen Gerichten übertragen möchten. Grundsätzlich wäre
eine solche Uebertragung allerdings möglich, ja sie mag als ein
Ideal für eine unberechenbare Zukunft erscheinen; aber die
praktischen Gründe, welche gegen eine solche Uebertragung
sprechen, sind bekannt und oft ausgeführt. Bei der einmal durch-
geführten strengen Trennung zwischen Justiz und Verwaltung, bei
der wesentlichen civilistischen Ausbildung unserer Richter, ist von
ihnen eine gründliche Kenntniss des immer mehr sich entwickeln-
den, umfangreichen Verwaltungsrechtes kaum zu erwarten, noch
weniger ein Verständniss für die Bedürfnisse der Verwaltung.
Nichts könnte der Verwaltung gefährlicher werden, als wenn sıe
durch eine formale Beurtheilung in rein civilistischem Sinne in
der nothwendigen Freiheit der Bewegung gehemmt würde. Ja, es
könnte vielleicht ebenso die Beschäftigung mit den Fragen des Ver-
waltungsrechtes der civilistischen Beurtheilung der Privatrechtsfälle
nachtheilig werden. Nur eine planmässige Arbeitstheilung
zwischen Civil- und Verwaltungsrichtern kann, wenigstens nach
dem Stande unserer gegenwärtigen Rechtsbildung, beiden Aufgaben
der Rechtsprechung gerecht werden. Nur fortwährende berufs-
mässige Beschäftigung mit den Fragen des Verwaltungsrechtes wird
bei den Verwaltungsgerichten, besonders der obersten Instanz, die
wichtige Tradition einer gleichbleibenden Gerichtspraxis erzeugen,
Rechtes. Leipzig18573. Was damals als pium desiderium ausgesprochen worden,
ist jetzt meist in Erfüllung gegangen.