Das Rechtsverhältniss des Staates zur Kirche. 661
biete nach Vereinigung mit seines Gleichen. Es drängt ihn, sein
individuelles Bewusstsein zu offenbaren in dem gemeinsamen Be-
kenntnisse gleicher religiöser Ueberzeugungen, sowie in der
geweihten Bildersprache eines gemeinsamen Kultus. Aus diesem
Bedürfnisse sind zu allen Zeiten und bei allen Völkern religiöse
Gemeinschaften entstanden. In der alten Welt fielen dieselben,
wıe konzentrische Kreise, meistens mit der staatlichen Gemeinschaft
zusammen. Alle Religionen der alten Welt waren Volksreligionen,
alle Götter Nationalgötter. Kann man die orientalischen Staaten
Religionsstaaten nennen, so bestand bei den Römern eine
Staatsreligion. Das ganze jus sacrum mit seinem Kultus und
seinen Opfern, das sacerdotium, war anerkanntermaassen ein Theil
des römischen Staatsrechtes. {L. 1 D. de just. et jure I, 1.) Erst
das Christenthum mit seinem universalen Charakter trägt den
Beruf in sich, die religiöse Gemeinschaft selbständig zu gestalten.
Erst mit ihm tritt der Begriff der Kirche, als einer selbständig
neben dem Staate stehenden Lebensordnung, ins Dasein. Der
Begriffder Kırcheisteinspecifisch christlicher. Aber
die Kirche (xupraxov), als Trägerin der ewigen Wahrheiten des
Christenthums, als Gemeinschaft aller Gläubigen in Christo, ist ein
Begriff, welcher nur der Welt der Ideen angehört. Erst wenn es
den von der Macht dieser Ideen getriebenen Individuen gelingt,
sich auch äusserlich als menschliche Gemeinschaft zu kon-
stituiren, wird die Kirche, aber nur in dem äusserlich be-
Kirche {in dessen Staatsr., V.-R. und Pol.) B.II.S.1ff. v. Rönne, Preuss.Staatsr.
B. I. Abth. 2. S. 619 ff. $188f. H. Schulze, Preuss. Staatsr. B. II. S. 698 ff.
Eine gute Uebersicht des neuesten Rechtszustandes giebt F. Thudichum,
Deutsches Kirchenrecht des neunzehnten Jahrhunderts B. I. u. II. Leipzig
1877 u. 1878. Ausserdem sind als die bedeutendsten Systeme des Kirchen-
rechtes zu nennen: K. Fr. Eichhorn, Grundsätze des Kirchenrechtes der
katholischen und evangelischen Religionspartei in Deutschland. 2Bde. Göttingen
1831—1833. A. L. Richter, Lehrbuch des katholischen und evangelischen
Kirchenrechtes. 7. Aufl. von Dove, Leipzig 1874. (8. Aufl. im Erscheinen.)
O. Mejer, Lehrbuch des deutschen Kirchenrechtes 3. Aufl. Göttingen 1869.
P. Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutsch-
land. B. I. B. II. B. IH erste Hälfte. Lex. 8. Berlin 1870 ff. Derselbe, Das
Kirchenrecht in Holtzendorff’s Eneykl. B.I. S. 641 fl. F. Walter, Lehr-
buch des Kirchenrechtes aller christlichen Konfessionen. 14. Aufl. von Gerlach.
Bonn 1871. Philipp’s Lehrbuch des Kirchenrechtes 2 Bde. 2. Aufl. Regens-
burg 161. Derselbe, Kirchenrecht 7 Bde. (unvollendet). Regensburg 1845
—1872. v. Schulte, Das kathol. Kirchenrecht 2 Bde. Giessen 1856—1860.
Derselbe, Lehrb. deskath. Kirchenrechtes. Giessen 1873. E. Friedberg,
Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechtes. Leipzig 1579.
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