Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Das Rechtsverhältniss des Staates zur Kirche. 679 
Vieldeutigkeit nicht zu fortwährenden Streitigkeiten führen soll, 
durch Ausführungsgesetze zu specialisiren, in welchen alle 
Beziehungen des Staates zur Kirche mit möglichster Genauigkeit 
festgestellt werden. Ein solches Gesetz kann aber, wenn es über- 
haupt die Realität der Verhältnisse beherrschen will, nur für jede 
der grossen Kirchengemeinschaften besonders erlassen werden. 
Beiden Kirchen gegenüber nimmt die Staatsgewalt auch jetzt schon 
ein verschieden gestaltetes Aufsichtsrecht in Anspruch, welches 
einer gesonderten Darstellung bedarf. 
$ 242. 
3) Das Schutz- und Schirmrecht des Staates, advocatia 
ecclesiae. 
Dieses Recht hatte im Mittelalter eine andere Bedeutung, wie 
heut zu Tage. Die mittelalterige Staatsgewalt hielt sich für ver- 
pflichtet, der Kirche überall Schutz zu gewähren, wo dieselbe einen 
solchen verlangte. Die sogenannte advocatia ecclesiae wurde 
wesentlich nach den Vorschriften der Kirche und nach kirchen- 
rechtlichen Grundsätzen gehandhabt. Darum konnte der Staat sıe 
auch nur Einer Kirche gewähren. Ihre Hauptaufgabe wurde, 
nach Augustin’s Lehre, darin gesehen, dass der Staatsherrscher 
die Machtgebote der Kirche vollstrecke, d. h. die Ketzer vertilge. 
Der moderne Staat übt auch dieses Recht und diese Pflicht von rein 
weltlichem Gesichtspunkte aus und lediglich nach staatlichen 
Grundsätzen. Ueber die Wahrheit der Kirchenlehre steht ihm kein 
Urtheil zu. Darum ist er ebenso berechtigt als verpflichtet, allen 
im Staate bestehenden Religionsgesellschaften seinen schützenden 
Arm zu leihen, wenn er auch mit den altbegründeten historischen 
Kirchen in eine besonders nahe Verbindung getreten ist. 
Dieses Schutzrecht des Staates, welches zugleich als Schutz- 
pflicht erscheint, zeigt sich besonders in folgenden Punkten: 
1) Der Staat hat die Pflicht, die anerkannten christlichen 
Kirchen, sowie überhaupt sämmtliche Religionsgesellschaften, in 
ihrer verfassungsmässigen Stellung und ihren gesetzlichen und 
wohlerworbenen Rechten zu schützen. 
2) Die Staatsgewalt schreitet auf polizeilichem, wie auf straf- 
rechtlichem Wege gegen die Verunglimpfung der anerkannten oder 
gesetzlich bestehenden Religionsgesellschaften, die Herabwürdigung 
ihrer kirchlichen Einrichtungen und Gebräuche und die Störung
	        
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