Das Rechtsverhältniss des Staates zur Kirche. 655
Begründung, Abhülfe zu schaffen. Der in Frankreich von jeher
gebräuchliche recursus ab abusu, appel comme d’abus, welcher
früher bei den Parlamenten, später beim Staatsrathe eingelegt
werden konnte, ging im älteren deutschen Reiche an die obersten
Reichsgerichte; ın den einzelnen Territorien ging er an den
Landesherrn und sein Ministerium, ohne gesetzliche Regelung des
Verfahrens. In dieser administrativen Form hat sich der recursus
ab abusu in den meisten Staaten erhalten. »Den Geistlichen, sowie
den Weltlichen, bleibt, wo immer ein Missbrauch der geistlichen
Gewalt gegen sie stattfindet, der Rekurs an die Landesbehörden«.
($ 36 der sogenannten Kirchenpragmatik für die oberrheinische
Kirchenprovinz vom 30. Januar 1830.) Die Beschwerde ist nicht
nur gegen Verletzungen von Staatsgesetzen, sondern auch gegen
Verletzung kirchlicher Rechte des Individuums gerichtet. In
Preussen, wo dieser Rekurs durch die oben bezeichnete Verwal-
tungspraxis ausser Gebrauch gekommen war, ist derselbe in einzelnen
gesetzlich bestimmten Fällen wieder hergestellt. So ist eine Be-
rufung an den Staat gegen Entscheidung kirchlicher Behörden,
welche Disciplinarstrafen auferlegen, eingeräumt, wenn dadurch
staatliche Gesetze verletzt werden. Eine Eigenthümlichkeit der
preussischen Gesetzgebung ist es, dass hierüber nicht wie anderwärts
durch eine Verwaltungsbehörde (Ministerium, Staatsrath), sondern
durch den königlichen Gerichtshof für kırchliche An-
gelegenheiten entschieden wird, eine mit allen Garantien rich-
terlicher Unabhängigkeit ausgestattete Behörde.
Ausser diesen Befugnissen nimmt der Staat kraft seiner Kirchen-
hoheit noch die besondere Aufsicht über gewisse Angelegenheiten
der katholischen Kirche in Anspruch. Dahin gehört die Ueber-
wachung der kirchlichen Straf- und Disciplinargewalt sowohl über
Laien, als Kirchendiener, die Aufsicht über die kirchlichen An-
stalten zur Ausbildung der Geistlichen, über die Vermögensver-
waltung, indem die Genehmigung des Staates bei gewissen wichtigen
Akten der Vermögensverwaltung, sowie die Prüfung der Kirchen-
rechnungen vorgeschrieben ist, die Aufsicht über die geistlichen
Orden, wo dieselben überhaupt noch zugelassen sind. Durch
Reichsgesetz betr. den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872
ist der Jesuitenorden nebst den ihm verwandten Orden und ordens-
ähnlichen Kongregationen vom Gebiete des deutschen Reichs aus-
geschlossen.
So hat der deutsche Staat, gestützt auf die Erfahrung von