Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

Das Rechtsverhältniss des Staates zur Kirche. 687 
als sein Annex der Landeshoheite. Die Ausübung der kirchlichen 
Verwaltung und Gerichtsbarkeit überliessen sie den Konsistorien, 
d.h. vom Landesherrn, als Kirchenobern, bestellten, aus geistlichen 
und rechtskundigen weltlichen Mitgliedern zusammengesetzten 
Kollegialbehörden für kirchliche Angelegenheiten, wobei die säch- 
sische Konsistorialverfassung von Wittenberg als maassgebendes 
Vorbild diente. Dem landesherrlichen Kirchenregiment und seinen 
Behörden gegenüber hatte weder die einzelne Gemeinde, noch die 
Landeskirche als solche ein Organ der Vertretung oder Mitwirkung. 
Statt der Gemeinde kannte man nur die Parochie, »in der Person 
des Patrons konzentrirte sich die kirchliche Lokalverfassung, wie 
in der Person des Landesherrn die kirchliche Gesammtverfassung. « 
Die schwachen Spuren einer Gemeindevertretung, die sich hie und 
da aus den Anfängen der Reformation erhalten hatten, gingen ver- 
loren. Nur in einzelnen westlichen Theilen Deutschlands, welche 
unter dem fortwirkenden Einflusse der schweizerischen, nieder- 
ländischen und französischen Reformation standen, erhielt sich ın 
freien Verfassungsformen ein regeres kirchliches Leben, an welches 
man in besseren Tagen wieder anknüpfen konnte. Das XVIlI. und 
die erste Hälfte des XIX. Jahrhunderts brachte in diese Zustände 
der evangelischen Kirche keine wesentliche Besserung. 
Doch kamen mit dem geistigen Aufschwunge der Freiheitskriege 
Ideen zum Durchbruche, welche eine freiere Kirchenverfassung, 
eine grössere Selbständigkeit der auch innerlich wieder neu belebten 
evangelischen Kirche forderten!. Auch kam diesen Bestrebungen 
die Union der beiden evangelischen Bekenntnisse zu 
Einer evangelischen Landeskirche zu Statten?, welche sich nach 
dem Vorbilde Preussens in vielen deutschen Staaten vollzog; doch 
ging auch dieser folgenreiche Schritt lediglich vonoben aus. Als 
einziger Fortschritt zu einer freieren Kirchenverfassung erschien in 
diesen Zeiten büreaukratischer Bevormundung und scheuer Aengst- 
lichkeit die Kirchenordnung für dieevangelischen Ge- 
meinden der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz 
1 W. Beyschlag, Der Entwickelungsgang der deutsch-evangelischen 
Kirchenverfassung in den Synodalfragen von Goltz und A. Wach. Heft. 
S. 26. 
2 C.J. Nitzsch, Urkundenbuch der evangelischen Union mit Erläuterungen. 
Bonn 1853. Schenkel, Der Unionsberuf des evangelischen Protestantismus. 
Heidelberg 1855. v. Mühler, Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung 
S. 189 ff. 284 ff. 341 ff. Jakobson, Kirchenrecht I. 8.4. Richter, Beiträge 
S. 23 ff.
	        
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