688 II. Von den Funktionen des Staatsorganismus.
vom5. März 18351, welche allen späteren Kirchenordnungen zum
Vorbilde gedient hat. Selbst das Jahr 1848, welches in den Grund-
rechten die Selbständigkeit der Kirche verkündigte, brachte der
evangelischen Kirche keine Befreiung; die in Preussen gemachten
Anläufe zu einer selbständigen Konstituirung derselben verliefen
im Sande. Erst seit den sechziger Jahren sind in mehreren deutschen
Staaten neue Kirchenverfassungen zu Stande gekommen, welche
der Kirche eine selbständige Vertretung und eine Mitbetheiligung
am Kirchenregiment zusichern. Der Vortritt gebührt auch hier
Baden, welches durch die Kirchengesetze vom 5. Mai 1861 die
Verfassung der vereinigten evangelisch -protestantischen Kirche,
auf Grundlage der Presbyterial- und Synodalverfassung, ordnete;
darauf folgte Hannover mit seiner Synodalordnung vom 9. Oktober
186.4, dann das Königreich Sachsen mit seiner Synodalordnung vom
30. März 1868 u. s. w., bis endlich auch in Preussen, nach langen
Geburtswehen, das Gesetz, betr. die evangelische Kirchenverfassung
ın den acht alten Provinzen der Monarchie, am 3. Juni 1876 zu
Stande kam. (Vergl. mein preuss. Staatsr. B. II. $$ 255 u. 256.)
Die durch diese Gesetze geschaffene innere Organisation der evan-
gelischen Kirche gehört in das Kirchenrecht, nicht in das Staats-
recht. Hier kommt nur ein Moment ın Betracht. Während die
ganze frühere Bewegung darauf gerichtet war, die evangelische
Kirche auch ın Deutschland rein auf den Grundlagen der Presby-
terial- und Synodalverfassung, mit vollständiger Beseiti-
gung des landesherrlichen Kirchenregiments, aufzu-
erbauen, war man jetzt zu der Einsicht gekommen, dass dasselbe bei
den gegenwärtigen Zuständen der evangelischen Kirche nicht zu
entbehren, vıelmehr als das Fundament einer festen und einheit-
lichen Leitung beizubehalten sei, dass dasselbe aber mit einer Ver-
tretung der Kirche auf allen Stufen zu umgeben und an deren ent-
scheidende Mitwirkung zu binden sei. Eine organische Ver-
bindung der Konsistorıalverfassung mit der Presby-
terial-und Synodalordnung wurde das leitende Prin-
zıpaller neuen Organisationsgesetze der evangelischen
! Fr. Bluhme, Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der
Provinz Westfalen und der Rheinprovinz vom 5. März 1835. II. Aufl. Bonn
1859. Ueber die Prineipien der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung und
über die rechtliche Bedeutung des Art. 15 der preussischen V. U. Zwei Vorträge,
gehalten auf der Bonner Pastoralkonferenz vom 2. Juli 1562 von A. Wolters
und H. Achenbach. Bonn 1862. Jakobson, Geschichte der Quellen des
evangelischen Kirchenrechts von Rheinland und Westfalen 1814.