Full text: Lehrbuch des Deutschen Staatsrechtes Erstes Buch Das Deutsche Landesstaatsrecht (1)

72 I. Geschichtl. Entwickelung des staatl. Rechtszustandes in Deutschland. 
das Haus Oesterreich geknüpften Kaiserwahl war der staatsrecht- 
liche Zusammenhang der österreichischen Länder mit dem 
dentschen Reiche schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts völlig 
gelockert. Gestützt auf die von ihm selbst angefertigten unächten 
Privilegien. nımmt der hochstrebende Herzog Rudolf IV. (1355— 
1365' für sich und seine Lande fast volle Souveränitätsrechte und 
eine so unumschränkte Gewalt in Anspruch. wie ein absoluter Mo- 
narch des 18. Jahrhunderts: »praeterea quidquid dux Austriae in 
terris suis seu distrietibus suis fecerit vel statuerit, hoc imperator 
neque alia potencia modis sen viis quibuscunque non debet in alıud 
quoquo modo in posterum commutare«. Kraft dieser Privilegien 
kann (der Herzog von Oesterreich in Ermangelung von Geblüts- 
erben. ohne Rücksicht auf die Oberlehensherrlichkeit des Reiches. 
frei iiber alle seine Lande disponiren; er erhält die freieste Erwerbs- 
befugniss neuer Länder, auf welche alle diese Vorrechte von selbst 
übergehen sollen. Zwar bleibt der Herzog Vasall des Reiches. aber 
blos dem Namen nach, er braucht seine Lehen nur auf österreichi- 
schem Grund und Boden zu empfangen und leistet so gut wie keine 
Lehndienste. nımmt unmittelbar nach den Kurfürsten seinen Platz 
ein. hat alle Rechte der übrigen Reichsfürsten und kann in jeder 
Gefahr vom Reiche Hilfe fordern. aber zu Kriegsdiensten und 
Geldleistungen ist er dem Reiche so wenig verpflichtet. wie zum Be- 
suche der Reichstage. Er ist der Reichsgerichtsbarkeit selbst nicht 
unterworfen und in seinen Lauden der oberste und einzige Gerichts- 
herr. Jeder Einfluss der Reichsgerichte ist von den österreichischen 
Erblanden ausgeschlossen. Bezeichneten diese in den unächten Pri- 
vilegien Rudolf’s IV in Anspruch genommenen Vorzüge vorläufig 
auch nur die Tendenz der Österreichischen Hauspolitik, so wur- 
(len sie doch nach und nach vollständig durchgesetzt und bildeten 
(ie Grundlage der fast souveränen Stellung Oesterreichs dem Reiche 
gegenüber. Diese Stellung, die jeden Vortheil. welchen die Verbin- 
dung mit dem Reiche gewähren konnte, verschaffte. ohne irgend eine 
Verpflichtung aufzuerlegen. hat Oesterreich durch alle Jahrhunderte 
behauptet. In keinem Lande galt die Reichsgewalt so wenig, als m 
den eigenen Erblanden des Kaisers. Schon Pufendorf behauptet 
(laher. wenn einmal die Kaiserkrone an ein anderes Haus kommen 
würde, so wäre staatsrechtlich jede Verbindung zwischen den öster- 
reichischen Ländern und dem Reiche aufgehoben. 
Durch semen schroffen Gegensatz zur Reformation sperrte sich 
Oesterreich hermetisch von der deutschen Bildung, besonders den
	        
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