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In solcher Weise gährte es unter den Protestanten des Elsaß,
unter den Bürgern von Straßburg. Für uns Deutsche aber, die
wir die Geschichte jener Zeit heute zu beschreiben in der Lage find,
ist es eine der tröstlichsten Erscheinungen, daß wir mit solcher
Sicherheit es aussprechen können: der Gedanke der Losreißung des
herrlichsten Grenzlandes vom deutschen Reiche nahm seinen Ursprung
in dem erst in diesem Kriege erwachten katholisirenden Fanatis-
mus Karls V., in der unerträglichen Uebermacht des römischen
Kaiserthums, in der Hilflosigkeit des alten Reichs, seine Macht-
stellung und die Freiheit der Gewissen zugleich und gleichermaßen
aufrecht zu erhalten.
Bei dieser allgemeinen Furcht, bei dieser tiefgedrückten Stimmung
der leichtbeweglichen Bürgerschaft von Straßburg begreist man wol,
welche inneren Kämpfe politisch denkende Männer, wie Jacob Sturm,
durchgemacht hatten, bevor sie sich mit dem Hofe von Frankreich in
Beziehungen setzten. Man entschloß sich zunächst nur zu einer freund-
nachbarlichen Correspondenz mit dem französischen Könige, und rechnete
dabei hauptsächlich auf den Eindruck, welchen die Kenntnisnahme
von Verhandlungen zwischen Straßlurg und Frankreich unter allen
Umständen am kaiserlichen Hofe hervorbringen mußte. Die Straß-
burger baten den König um ein Anlehen von 80,000 Goldthalern
gegen billige Bürgschaft, da wegen der großen Kriegskosten Mangel
an barem Gelde eingetreten sei. Die Motivirung, welche der Stadt-
rath seiner Bitte beifügte, ist aber im hohen Grade lehrreich. Es
heißt da, daß Straßburg sich immer als freundliche Nachbarin
bewiesen habe, und daß es für den König von Frankreich höchst
gefährlich wäre, wenn der Kaiser diese freie Stadt gänzlich über-
wältigen und ihrer Selbständigkeit berauben würde. Um also dem
Kaiser gegenüber ihre Stellung zu wahren, möge der König dieser
schützenden Vormauer für Deutschland und Frankreich seine Hilfe
nicht versagen.
Wie freudig man in Paris das Schreiben des Straßburger
Raths aufgenommen, läßt sich ermessen, wenn man sieht, daß König