264
über einander: die unterste für die Hölle, die oberste für den Him-
mel, die Mitte für die Menschen. Dieser mittlere irdische Raum
ist selbst oft wiederum eingetheilt wie eine Landkarte: die eine
Bühnenecke heißt z. B. Ninive, die entgegengesetzte heißt Rages:
der junge Tobias zieht im Angesicht des Yublicums von Ninive
nach Rages. In Ninive selbst übersieht man gleichzeitig das Innere
des königlichen Palastes, die Straße vor Tobias Hause und das
Innere dieses Hauses selbst im Durchschnitt. An jeden dieser
verschiedenen Orte kann der Dichter jeden Augenblick die Handlung
verlegen. Während der junge Tobias bei Raguel sein Mittagessen
verzehrt, können seine Eltern zu Hause ihrer Sehnsucht nach ihm
Worte leihen.
Mehr oder weniger paßt diese Schilderung auf alle elsässischen
Volksschauspiele. Arbeiten von auswärts mit etwas strafferem dra-
matischen Bau werden hier im Sinne des breitesten epischen Ver-
laufes umgearbeitet. Es sind gespielte Histerien. Selten, daß ein-
mal die mehr classisch geschulte sächsische Dramatik einigen schwachen
Einfluß ausübt.
Die alten höchst undramatischen Lehrspiele, worin bald ein
frommer Einsiedler, bald der getreue Eckart die verschiedenen Stände
nach der Reihe abkanzelt oder worin die wohlbekannten Narren-
figuren Sebastian Brants und Thomas Murners auftreten, hielten
sich nicht lange. Auch komische Stoffe, worin die Nürnberger Dra-
matik so ausgezeichnetes leistet, finden wir nur selten. Novellen hat
der einzige Martin Montanus dramatisirt. Meist werden alttesta-
mentliche Geschichten bearbeitet, wie Abraham und Isaac, der ägyp-
tische Joseph, das Urtheil Salomonis, Tobias, oder neutestament-
liche Yarabeln wie der verlorne Sohn, der reiche Mann und arme
Lazarus, der König der seinem Sohne Hochzeit machte.
Religiöse Polemik, welche anderwärts im Drama zum Theil
glänzenden Ausdruck fand, begegnet uns hier nicht. Doch aber spielen
die confessionellen Beziehungen der Zeitgeschichte manchmal herein.
Dr. Alexander Seitz beutet vor dem schmalkaldischen Kriege (1540)