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Gefühl, daß der König von Frankreich es sei, der in der freien Stadt
Gesetze vorschrieb, — das war es, was das Volk zum Aufstande
trieb. Gegen den französischen Residenten Frischmann wendete sich
der leidenschaftlichste Ausbruch des Hasses. Man zog vor das Haus
des Ammeisters Wencker, man beschuldigte den Magistrat des Ver-
raths und verlangte Wiederherstellung der Brücke. Eine große Masse
des Volkes zog hinaus um selbst Hand ans Werk zu legen. Die
Stadtthore mußten geschlossen werden, die Wachen wurden verstärkt;
man berief die Schöffen, um die Stadtregierung zu rechtfertigen
und die tobenden Elemente zu beruhigen, aber alles vergeblich, erst
nach vielen Tagen und nach Anwendung energischer Maßregeln wurde
die Ruhe äußerlich hergestellt. Es war das letzte Aufathmen des
Geistes städtischer Unabhängkeit. Gleichwie man im alten Athen
nach langem Kampfe der Parteien die Friedens-Säule endlich um-
gestürzt hatte, auf welcher die Verträge mit Philipp von Macedonien
geschrieben standen, so war der Streit um die Rheinbrücke in Straß-
burg das Vorspiel des Falles. Nur noch das Beispiel Athens,
welches den Todesstreich in ruhmvoller Schlacht zu erhalten vorzog,
konnte in Betracht gezogen werden, wenn man die Lage der Dinge
erwog. Aber es wäre ungerecht, wenn man die Bürger des 17. Jahr.
hunderts nach dem Maße jener einfachen Verhältnisse des griechischen
Alterthums beurtheilen wollte. Wol gab es auch hier Redner und
Politiker der einen oder der anderen Richtung, wol kämpfte man
auch hier gegen einen König, der das Wort des Horaz verstand,
„Thore der Städte mit Gold zu öffnen.“ Aber Straßburg war
nie ein gebietendes Haupt einer eigenen Welt, wie Athen, es war
immer nur ein Glied einer nationalen Macht, mit welcher es stand
und fiel, und in deren Abglanz es gedeihen oder verkommen mußte,
wie eben die Nation selbst groß oder klein im politischen Leben
dastand. Ueber den Ausgang der Schlacht von Chäronea konnten
die Athener die fiegesfrohesten Hoffnungen hegen. Ein Kampf von
Straßburg mit dem gallischen Riesen hätte nicht einmal zu einem
ruhmvollen Ende zu führen vermocht.
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