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theologische Wissenschaft ging in der Polemik auf, die Polemik
drehte sich um Subtilitäten der Dogmatik, die Dogmatik war mehr
scholastisch als biblisch; den festen Grund der Bibel, den Luther
einst mühsam erkämpfte, hatte man verlassen; das Göttliche schien
abermals von willkürlicher Menschensatzung überwuchert. Die Pre-
digt bewegte sich in albernen erkünstelten Methoden, unanständige
Schimpfreden und unwürdige Witzeleien waren an der Tagesordnung,
die mühsam ersonnenen Reden mit ihrer prahlerischen Gelehrsamkeit
rauschten an den Ohren der Gemeinde vorüber, ohne das Gemäth
zu berühren. Die Gegenstände, von denen sie handelten, mochten
den Zuhörern oft kaum dem Namen nach bekannt sein: denn der
religiöse Unterricht, die Kunst des Katechisirens war ganz vernach-
lässigt. Der Priester stand wie in der alten Kirche vornehm über
dem Volke, er fühlte sich als Gelehrter und verschmähte die innige
Berührung mit dem Volke, ja er konnte oft nicht einmal als ein
Vorbild der Frömmigkeit und tadellosen Wandels gelten.
Das war die Welt, in welche Spener eingriff. Und was er
ihr entgegenzusetzen hatte, das lag schon in ihm fertig, als er die
Heimat verließ. Nicht blos durch die Geburt, auch durch Erziehung
und Bildung gehörte er dem Elsaß an.
„Sein Vater war Rappoltsteinischer Beamter, und Gräfin Agathe,
seine Taufpathin, nahm sich des ernsten leidenschaftslosen, von Geburt
an dem geistlichen Stande bestimmten Knaben liebreich an, indem
sie ihn in der Sorge um das Heil seiner Seele bestärkte. Die
Bibel und andächtige Erbauungsbücher, welche abseits von der offi-
ziellen Zionswächterei nur die christliche Gottseligkeit und nichts an-
deres befördern wollten, Bücher, wie wir sie z. B. auch in Mosche-
roschens Haus gebraucht finden, machten seine erste geistige Nahrung
aus. An dem Rappoltsteinischen Hofprediger Stoll besaß er ein
Vorbild der echten praktischen Frömmigkeit und einfachen schrift-
gemäßen Predigt, dem er — nach seiner eigenen Versicherung — die
ersten Funken eines wahren Christenthums verdankte. Unter seinen
Lehrern an der Universität Straßburg, die er 1651 zog, wies ihnen