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die menschliche? Oder — haben wir es mit einer bloßen Ueber-
tragung zu thun, welche den Franzosen das Deutschlernen ersparte,
ohne daß die Dinge selbst etwas gewannen?
Wir fürchten das letztere. Und wir glauben, daß die Elfässer
ihre schönsten Leistungen für Frankreich einzig und allein dem alten
deutschen Mutterlande verdankten. Denn außerhalb des Geschäftes
der Vermittelung, wo finden wir die Elsässer Entdecken wir einen
einzigen tonangebenden Elsässer unter allen den geistigen Koryphäen
der Restauration und des Julikönigthums?
Man wird vergeblich suchen. Das Elsaß, la France alle-
mande, wie sie es nannten, erschien den Franzosen (nach L. Spachs
Ausdruck) als eine Arct von Böotien, begraben unter den Nebeln
des Rheins. Erst unter dem zweiten Kaiserreich errangen die Ro-
mandichter Erckmann= Chatrian, der Danteübersetzer und Kritiker
Leuis Ratisbonne, der Philosoph und Publicist Charles Dollfus,
die Maler Brion, Haffner, Jundt durchschlagende Erfolge. Elsäs.
sische Litteratur, elsässische Kunst machte sich mit Ehren geltend.
Aber in beiden war wieder das Heimatlich-Locale der entscheidende
Factor. Und beide stehen in Einer Reihe mit ähnlichen Erschei-
nungen anderer Provinzen. Die Bretagne, die Provence thaten sich
in ihrer Eigenthümlichkeit nicht weniger hervor, als das Elsaß.
Das zweite Kaiserreich, das Paris mittelst der Departements, die
Städte mittelst der Bauern beherrschte, hat litterarisch und künst-
lerisch die Localgeister entfesselt und die lange in unberührter Ori-
ginalität verborgenen Sonderexistenzen an die Oeffentlichkeit gezogen.
Mithin: erst als diese Entfesselung überhaupt geschah, erst als die
provinzielle Eigenart überhaupt in ihre Rechte trat, zeigt sich auch
das Elsaß lebhafter betheiligt.
Und im allgemeinen dürfen wir nun behaupten: Das geistige
Leben des Elsasses steht unter zweierlei Impulsen,
unter dem provinziellen und dem deutschen. Dem Na-
tionalfranzösischen gehört zwar schließlich das äußere
Kostüm der Bildung, aber seine innere Macht offenbart
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