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O Seligkeit der Mutterbrust,
Die Christus selber hat geküßt;
O Seligkeit der Mutter auch,
Die ihn bedeckt, mit ihm gekoft;
O selig, die ihn hat geherzt,
Die ihn gesetzt auf ihren Schoß,
Die ihn in Schlummer hat gewiegt,
Die neben sich ihn hat gelegt.
Ja selig, die gekleidet ihn,
Die mit den Windeln ihn umwand
Und die auf einem Lager schläft
Mit einem solchen theuren Kind.
Ja selig die, die ihn umhüllt,
Wenn ihm der Frost zu schaden sucht,
Die mit den Händen und dem Arm
Umschlinget seinen theuren Leib.
An einer andern Stelle bittet er Gott, ihn als höchsten Richter.
so gelinde zu bestrafen, wie eine Mutter, welche die Hand, womit
sie eben ihr Kind geschlagen, schirmend vorhält, wenn Jemand
dasselbe zu beschädigen droht. Gewiß war Otfrid ein guter Sehn;
er gedenkt seiner eigenen Mutter im Lied; in der Trennung von
ihr wird er die Sehnsucht kennen gelernt haben und die Freude des
Wiedersehens. Denn er weiß, wie dem Sehnsüchtigen geschieht:
Er sieht sein süßes Lieb vor sich,
Doch fürchtet er, es sei es nicht.
Er weiß auch wie die Fremde thut:
Trennung von dem Heimatland,
O du bist hart und schwer fürwahr!
Kummer faßt den armen an,
Der ferne lebt vom Vaterland.
Ich habs erfahren einst an mir,
Nichts liebes fand ich je in dir.
Nichts andres hab' in dir gefunden,
Als trüben Sinn und bittre Stunden,
Gram und mannigfalten Schmerz.
Mit dieser Sehnsucht nach der Heimat vergleicht er die Sehn-