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legische Abhandlungen und spitzfindige canonistische Erörterungen in
der Kirchensprache, oder er dichtet lateinische Verse über alles mög-
liche und unmögliche, wie der Straßburger Canonicus Gottfried von
Hagenau (1 1313) über die Feste der heiligen Maria. Aber er be-
quemt sich auch den litterarischen Bedürfnissen des Bürgers. Er
predigt ihm in deutscher Rede. Er schreibt ihm erst lateinische,
dann deutsche Geschichtswerke. Kun, er bewegt sich mitten unter
seinem Publikum, denn er hat gelernt, daß man aus vornehmer
Höhe keine Massenwirkungen ausübt.
Und dieses Publikum ist, wie gesagt, rein deutsch. In Straß-
burg nehmen wir im vierzehnten Jahrhundert keine litterarischen
Einflüsse Frankreichs wahr. Wie sehr auch der elsässische Adel fran-
zösischer Mode und Sitte huldigen mochte, das Bürgerthum blieb
davon frei. Der Geschmack des Ritterthums war gesunken, die
Froßen Schöpfungen des dreizehnten Jahrhunderts verstand man nicht
mehr zu würdigen, und diesen Meistern nachzueifern, Jab man sich
vollends keine Mühe. Als einst ein Ritter, Ulrich von Rappoltstein,
die unglückliche Idee faßte, das gewaltige Epos Wolframs von
Eschenbach, den Parzival, mit all den bunten zusammenhangslosen
Abenteuern wieder aueszustatten, welche die französischen Erzähler
vorbrachten und Wolframs künstlerische Weisheit über Bord ge-
worfen hatte: da mußte er sich an zwei Bürger von Straßburg
wenden, an Klaus Wisse und den Goldschmied Philipp Kolin, denen
er einen eigenen Schreiber hielt und die ihm für gutes Geld die
Arbeit lieferten. Aber — sehr charakteristisch — die Leute verstan-
den kein Franzäsisch, sondern bedienten sich eines Juden als Dol-
metsch. Im Jahre 1336 war das Machwerk fertig.
Doch nicht auf dem Gebiete der Romandichtung sollte sich das
Straßburger Bürgerthum jener Zeit seine litterarischen Lorbeern
pflücken. Ihr eigentliches Feld der Ehren liegt in der Geschicht-
schreibung und im religiösen Leben.