Full text: Ludendorff, meine Kriegserinnerungen 1914-1918

4 Mein Denken und Handeln 
  
  
Anschauungen der Regierung und die unsrigen. Dieser Gegensatz war für 
uns eine schwere Enttäuschung und zugleich eine ungeheure Belastung. 
In Berlin konnte man sich nicht zu unserer Auffassung über die Kriegs- 
notwendigkeiten bekennen und nicht den eisernen Willen finden, der das 
ganze Volk erfaßt und dessen Leben und Denken auf den einen Gedanken: 
Krieg und Sieg einstellt. Die großen Demokratien der Entente haben dies 
vermocht. Gambetta 1870/71, Clemenceau und Lloyd George in diesem 
Kriege stellten mit harter Willenskraft ihre Völker in den Dienst des 
Sieges. Dieses zielbewußte Streben, der machtvolle Vernichtungswille der 
Entente, wurden von der Regierung nicht in voller Schärfe erkannt. Nie 
war daran zu zweifeln gewesen. Statt alle vorhandenen Kräfte für den 
Krieg zu sammeln und im Höchstmaße anzuspannen, um zum Frieden auf 
dem Schlachtfelde zu kommen, wie dies das Wesen des Krieges bedingte, 
schlug man in Berlin einen anderen Weg ein; man sprach immer mehr 
von Versöhnung und Verständigung, ohne gleichzeitig dem eigenen Volk 
einen starken kriegerischen Impuls zu geben. Man glaubte in Berlin 
oder täuschte sich dies vor: die feindlichen Völker müßten den Versöhnung 
verkündenden Worten sehnsüchtig lauschen und würden ihre Regierungen 
zum Frieden drängen. So wenig kannte man dort die Geistesrichtung der 
feindlichen Völker und deren Regierungen mit ihrem starken nationalen 
Denken und stahlharten Wollen. Berlin hatte aus der Geschichte früherer 
Zeiten nichts gelernt. Man fühlte hier nur das eigene Unvermögen gegen- 
über der Psyche des Feindes, man verlor die Hoffnung auf den Sieg und 
ließ sich treiben. Der Gedanke, zum Frieden zu gelangen, wurde stärker 
als der Wille, für den Sieg zu kämpfen. Der Weg zum Frieden war 
gegenüber dem Vernichtungswillen des Feindes nicht zu finden. Man 
versäumte darüber, das Volk den schweren Weg des Sieges zu führen. 
Reichstag und Volk sahen sich ohne solche Führung, die sie zum großen 
Teil heiß ersehnten, und glitten mit der Regierung auf der abschüssigen 
Bahn. Die gewaltigen Fragen des Krieges an sich wurden immer mehr 
und mehr beiseite geschoben. Innerpolitisches Denken und das Denken an 
das eigene Ich überwucherten sie. Das wurde zum Unglück für das 
Vaterland. 
Mag sein, daß die Revolution, die jetzt Europa durchbebt, eine andere 
Weltordnung herbeiführt und die Gedanken und Empfindungen der Völker 
reifer macht für einen Frieden der Gerechtigkeit und Versöhnung der 
Menschheit. Die Waffenstillstands= und Friedensbedingungen stehen aller- 
dings einer solchen Anschauung entgegen. Während ich Erster General= 
quartiermeister war, hatte die Welt sich jedenfalls noch nicht geändert. 
Die Oberste Heeresleitung nahm den gleichen Standpunkt ein wie 
Präsident Wilson im November 1918, als er über sein Eintreten für sein
	        
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