Der Rückzug hinter die Vesle 545
Schlacht hat dem Feinde ebensoviel gekostet wie uns. Frankreich hatte auf-
fällig viel Senegalneger und auch Marokkaner eingesetzt und seine eigenen
Landeskinder zu schonen versucht. Die sechs amerikanischen Divisionen, die
in der Schlacht eingesetzt waren, hatten besonders schwer gelitten, ohne Er-
folge davonzutragen. Es scheint eine Division zu ihrer Ergänzung auf-
gelöst worden zu sein. Trotz der Kampffreudigkeit der einzelnen Ameri-
kaner ging der geringe Gefechtswert der amerikanischen Truppen daraus
hervor, daß zwei tapfere deutsche Divisionen, denen ich bisher nur einen
Durchschnittswert beigemessen hatte, die 201. Inf. Div. und 4. Ersatz-Div.,
den Hauptstoß sehr überlegener amerikanischer Kräfte während mehrerer
Wochen aushielten. «
Auch der Abgang bei den englischen und italienischen Divisionen
war hoch.
Inzwischen hatte sich die Heeresgruppe Rupprecht auf Abwehr ein-
gestellt, indem sie für den Angriff bestimmte Dioisionen einsetzte und lange
in Stellung befindliche ablöste. Ihre Bataillone hatten leidliche Stärken.
Viele Divisionen hatten seit April nicht mehr gefochten. Auch die 18. Armee
und der rechte Flügel der 9. waren gestärkt. Die 18. Armee hatte vorher
noch im Arvres-Brückenkopf nicht glücklich gekämpft. Eine dort auf breiter
Front stehende Division war gegen den Fluß zurückgedrückt worden.
Der Versuch, die Völker der Entente durch deutsche Siege vor An-
kunft der amerikanischen Verstärkungen friedenswillig zu machen, war ge-
scheitert. Die Schwungkraft des Heeres hatte nicht ausgereicht, den Feind
entscheidend zu treffen, bevor der Amerikaner mit bedeutenden Kräften
zur Stelle war. Ich war mir klar bewußt, daß dadurch unsere Gesamt-
lage sehr ernst geworden war.
Anfang August standen wir auf der ganzen Front in Abwehr, wir
hatten den Angriff eingestellt. Wenn die an den letzten Kämpfen beteiligten
Divisionen wieder aufgefrischt waren, konnten neue Entschließungen gefaßt
werden. Eine Pause in den Operationen bot nichts Bemerkenswertes, sie
war auch nach Abbruch der großen Angriffe vom 21. März und 27. Mai
eingetreten. Die Kämpfe seit dem 15. Juli hatten uns nicht weniger ge-
kostet als jene Angriffe. Der Wunsch nach Ruhe war jetzt wie früher be-
gründet. Ob der Feind sie uns lassen würde, blieb zweifelhaft.
Ich rechnete mit der Fortsetzung der feindlichen Angriffe entweder
gegen die Vesle, gegen die der Feind sich immer schärfer heranschob, oder
mit ihrer Ausdehnung auf das Gelände zwischen Aisne und Oise, vor der
der Feind in Besorgnis vor einem deutschen Angriff stark stand. Ich hielt
ferner Vorstöße zwischen Oise und Somme für möglich, vielleicht auch gegen
unsere Stellungen bei Albert und in der Lys-Ebene, endlich im Sundgau.
Ich nahm aber an, daß es sich nur um einzelne Teilangriffe handeln würde,
Kriegserinnerungen 1914—18. 35