420 XIX. Der Friedensvorschlag des Papftes und der „englische Friedensfühler“
Ausgleich konte die Entente nicht rechnen, da die amerikanische Waffen-
hilfe noch in weitem Felde stand. Die Wirkungen des U-Bootkriegs waren
größer, als die Feinde vermutet hatten. Nicht als ob England vor der
Aushungerung oder Kapitulation gestanden hätte. Aber die wachsenden
Schiffsverluste rührten doch an den englischen Lebensnero.
Diese Gesamtsituation drückte merkbar auf die Kriegsstimmung der
feindlichen Völker.
Von Petersburg aus wurde energisch die Revision der ausschweifenden
Kriegszielprogramme gefordert. Mißstimmungen innerhalb der fran-
zösischen Truppen zwangen den General Pétain, die poilus durch öffent-
lichen Aufruf zum Durchhalten zu ermahnen. Nachdem Lloyd George schon
im April seinen bekannten Hilferuf nach „Schiffen“ ausgestoßen hatte,
richtete der König Georg einen feierlichen Appell an sein Land, den Lebens-
mittelverbrauch einzuschränken, und das Unterhaus hielt es für erforderlich,
die ernste Lage in geheimer Sitzung zu erörtern. Auch Ribot betonte im
Juni nach einem kurzen Aufenthalt in England nachdrücklich die Gefahren
des U--Bootkrieges.
Übertriebene Folgerungen aus dieser Konstellation zu ziehen, ver-
boten unsere eigenen Zustände. Jedenfalls für das Jahr 1917 durften wir
einen die letzte Entscheidung bringenden Erfolg weder zu Lande noch zu
Wasser erhoffen. Dabei schritt die allmähliche Aushöhlung unserer ge-
samten Kriegsreserven an Menschen und Material unaufhaltsam fort. Die
Einsicht, daß der U-Bootkrieg England nicht auf die Knie zwingen werde,
drang auch in diejenigen Volkskreise, welche sich solchem Glauben hingegeben
hatten. Der steigende Druck der Blockade vereinigte sich mit diesen Mo-
menten, um auf die Stimmung zu drücken. Noch stärker ließen die ma-
teriellen und moralischen Kräfte in ÖOsterreich-Ungarn nach. Zeugnis dafür
war der bekannte Bericht des Grafen Czernin an den Kaiser Karl. Die
Zeit lief gegen uns: damit mußten wir bei Einschätzung nicht nur der
eigenen Lage, sondern auch der feindlichen Dispositionen rechnen. Die
Entente hat diesen Posten wohl noch höher bewertet, als wir damals an-
nehmen konnten. Denn noch unbekannt war mir im Frühsommer 1917,
wie weit die durch den Prinzen Sixtus von Parma geführte österreichische
Friedensaktion in Wirklichkeit gegangen war.
Die Situation befand sich in einem Zustand der Schwebe. In Über-
einstimmung mit dem Wiener Kabinett beurteilte ich sie dahin, daß die
Entente, weit entfernt, zum Friedensschluß genötigt zu sein, immerhin er-
wog, ob nicht einem in der Ferne stehenden und nicht mehr absolut sicheremn
Endsieg ein baldiger Verständigungsfriede vorzuziehen sei, vorausgesetzt,
daß sich eine annehmbare Verhandlungsbasis finden lasse. Diese Voraus-
setzung festzustellen, bemühte sich, wie mir schien, die Entente im Früh-