Object: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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genommen werden dürften, hat natürlich weder FIORE noch irgend ein 
anderer vernünftiger Mensch behauptet. 
Die Okkupation steht unter der obersten Regel, daß mit ihrem Vollzug 
die Einwohner des okkupierten Gebiets der Autorität des Okkupierenden 
unterworfen sind und verpflichtet sind anzuerkennen, daß die Ausübung 
der Souveränetätsrechte von der vertriebenen Staatsgewalt auf die okku- 
pierende übergegangen ist. Der Okkupierende darf die Bewohner nicht 
zwingen, „Feinde“ ihrer angestammten Gewalt zu werden; er darf ihre 
vaterländische Gesinnung nicht pönalisieren. Jede gewaltsame Auflehnung 
gegen die okkupierende Gewalt kann von ihr unter die strengsten Strafen 
gestellt werden, wobei allerdings Todesurteile nicht ohne ordentliches ge- 
richtliches Verfahren und nicht bloß zum abschreckenden Exempel gefällt 
und vollstreckt werden sollen (n. 1553). Die Gesetzgebungsgewalt soll der 
Okkupierende nur zur Erhaltung, nicht zur Umgestaltung des okkupierten 
Staatswesens gebrauchen; Staatseigentum ist ihm verfallen mit Ausnahme 
des öffentlichen Eigentums, das nur Friedenszwecken dient (Kultus und 
Unterricht, Wohlfahrtseinrichtungen); Privateigentum ist unverletzlich; die 
Steuern erhebt der Okkupierende nach bisherigem Recht (n. 1567). Das 
deckt sich im ganzen mit der deutschen Okkupationspraxis. 
Gegen die Fortführung von Geiseln spricht sich FIoORE scharf und 
deutlich aus; er läßt überhaupt nur die Geisel für Ausführung der aufer- 
legten Kontributionen gelten, und auch sie nur mit der Maßgabe, daß sie 
nicht gestraft werden darf, wenn sie das ihre getan hat, um die Ausfüh- 
rung der Kontribution zu bewirken (n. 1591—1593). Auch hierin ist nur 
Frankreich von der Regel abgewichen. 
Von den Regeln über die Kriegführung zur See stehen uns heute be- 
sonders nahe die über armierte Handelsschiffe (1624 fg.), über Handelsschiffe, 
die sich gegen Angriffe feindlicher Fahrzeuge verteidigen (n. 1646/7), über 
Seekriegsgebiet (1649), Unverletzlichkeit des Privateigentums (1714 fg.), Be- 
stimmung des „Feindesguts“ (1729, 1730), Unverletzlickkeit des Postverkehrs 
(1741), wirkliche Neutralität (completa astensione da qualsiasi atto che 
possa avere il carattere di assistenza ad uno o all’ altro dei belligerenti 
pei fini della guerra, für den Präsidenten der „Vereinigten Staaten für 
Kriegsgewinn® sehr nützlich zu lesen!), Durchsetzung der vollkommenen 
Freiheit des Handels von seiten der neutralen Staaten als ihre Pflicht 
(n. 1805), wirkliche Blockade (1832), Kontrebande (1852 fg., der Kriegführende 
darf sie nicht willkürlich bestimmen; er ist an Vertrags- oder Gewohnheits- 
recht gebunden) und Prisenrecht (n, 1928; Prise ist das Schiff mit Kontre- 
bande, nicht das Schiff, das dem Handel mit dem Feind dient). Auch hier 
ist fast durchweg in dem Völkerrechtswerk der romanischen Literatur das 
für recht erkannt, was Deutschland im Kampf mit der englisch-amerika- 
nischen, jetzt auch von Frankreich angenommenen Auffassung der Krieg- 
führung zur See durchzusetzen sucht. Mendelssohn Bartholdy. 
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