Full text: Borussia. Bilder aus der Geschichte des preußischen Vaterlandes.

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stuhl zubringen. Dessenungeachtet gingen die Regierungsgeschäfle unaus- 
gesetzt ihren Gang fort. Die Kabinetsräthe, die sonst gewöhnlich um 
sechs oder sieben Uhr erschienen, wurden jetzt um vier oder fünf Uhr 
Morgens schon vor ihn berufen. Er entschuldigte sich gegen sie mit 
den Worten: „Mein Zustand nöthigt mich, ihnen diese Mühe zu machen, 
die für sie nicht lange dauern wird. Mein Leben ist auf der Neige; 
die Zeit, die ich noch habe, muß ich benutzen, sie gehört nicht mir, son- 
dern dem Staate.“ 
In warmen Nachmittagsstunden ließ er sich oft in's Freie hinaus- 
tragen. Auf seinem Lehnstuhle sitzend, blickte er gern in die Sonne. 
„Sie ist meine liebste Freundin,“ sagte er einst, „bald werde ich ihr 
näher kommen.“ 
Am Morgen des 15. August stockte die Sprache, das Bewußtsein 
schien aufzuhören. Seine Räthe wurden nicht zum Vortrage gerufen. 
Er vermochte aus der Ecke des Stuhles sein Haupt nicht mehr aufzu- 
heben, das matte Auge nicht mehr zu öffnen, den Mund nicht mehr 
zum Sprechen zu bewegen. Alle Anstrengung war vergebens. Er gab 
durch einen traurigen Blick beim Drehen des Kopfes zu verstehen, daß 
es ihm nicht mehr möglich sei. Der Tag verging, es schlug Abends 
elf Uhr. Er fragte, was die Glocke sei. Als man es ihm sagte, er- 
wiederte er: „Um vier Uhr will ich aufstehen.“ Ein trockner Husten 
beklemmte ihn und raubte ihm die Luft. Ein Diener faßte ihn, indem 
er niederkniete, unter den Arm und hielt ihn aufrecht. Das brachte ihm 
etwas Erleichterung. Allmählich veränderten sich seine Gesichtszüge, das 
Auge wurde matter. Nach Mitternacht, am 17. August 1786, starb 
der große König in den Armen eines Dieners. Seine letzten Worte 
waren: „Mir ist wohl, der Berg ist erstiegen!“ 
Am Morgen erschien der neue König Friedrich Wilhelm II. in dem 
Sterbezimmer und traf mit dem Minister Herzberg die nöthigsten Ver- 
fügungen. Der Leichnam ward unterdeß vom Stuhle auf das Ruhe- 
bette gelegt, seiner bösen Feuchtigkeit durch Einschnitte entledigt und in 
eine kostbare Staatsuniform gehüllt. Abends acht Uhr wurde er auf 
einem achtspännigen Leichenwagen, den vierundzwanzig Unteroffiziere be- 
gleiteten, in's Schloß nach Potsdam gebracht. Hier war am andern 
Tage der Leichnam in Parade ausgestellt. Wie er früher an einen 
Freund geschrieben: „Wenn man mich begraben wird, werde ich noch 
ein lächelndes Gesicht zeigen,“ so war es jetzt. Kein Zug von Erden- 
schmerz entstellte sein Antlitz; heiterer Friede, Sieg und Versöhnung 
ruhten auf der Stirn des Verklärten. Nicht Krone, Scepter, Reichs- 
schwert, wie es sonst üblich ist, umgaben den König; nur Krückstock,
	        
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