Full text: Borussia. Bilder aus der Geschichte des preußischen Vaterlandes.

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235. Die Königin im Unglücke. 
Wer nie sein Brod in Thränen aß, 
Wer nie durch kummervolle Nächte 
Auf seinem Bette weinend saß, 
Der kennt Euch nicht, ihr himmlischen Mächte. 
Göthe. 
In allen Leiden, welche die Königin und das Vaterland trafen, 
bewährte sie sich als ergebene und fromme Dulderin; je tiefer ihr Herz 
unter der Wucht des eisernen Verhängnisses gebeugt wurde, desto er- 
habener richtete sich ihr Geist auf. 
Wahrhaft groß stand sie während der Friedensverhandlungen zu 
Tilsit Napoleon gegenüber. Man hatte sie gebeten, dahin zu kommen, 
indem man hoffte, ihre Liebenswürdigkeit würde den französischen Kai- 
ser zu mildern Bedingungen gegen Preußen bewegen. Napoleon selbst 
hatte ihre Gegenwart gewünscht. Es wurde ihr schwer, vor dem Manne 
zu erscheinen, der ihren Gemahl so tief gekränkt und das Vaterland so 
elend gemacht hatte; doch in ihrer reinen hochherzigen Liebe für das 
Volk scheute sie diese Erniedrigung nicht. In einem Dorfe vor Tilsit 
umarmte sie ihren geliebten Gemahl, und sie sprachen zu einander: 
„An unfre Liebe, unser höchstes Glück, kann er doch nicht reichen!“ 
Am andern Morgen harrte die in Trauer gehüllte Königin in einem 
niederen Gemache des Weltbesiegers. Auf einem stolzen Beduinenpferde 
kam er daher gesprengt: Er dachte in dreister Unbefangenheit zu reden, 
das Unglück gering zu schätzen und empfindlicher zu machen. Er hatte 
eine (Herte in der Hand und schwenkte sie hin und her. Doch als er 
die Königin sah, ihr klares, herrschendes Auge, ihre hohe, sichere Hal- 
tung, den ruhigen, in aller Sanftmuth stolzen Blick: da stutzte er, ward 
verlegen und befangen. Bald gelang es ihm jedoch, seine vorige Hal- 
tung zu gewinnen. Nachdem einige Worte der Höflichkeit ge- 
wechselt waren, wandte er sich lächelnd zum Könige und sprach: 
„Sire, ich bewundere die Größe und Stärke Ihrer Seele bei so vie- 
lem und großem Unglück.“ Der Köuig erwiederte kalt: „Stärke und 
Nuhe der Seele giebt die Kraft des guten Gewissens.“ „Aber,“ fuhr 
Napoleon fort, „wie konnten sie es wagen, einen Krieg mit mir anzu- 
fangen?"“ Ein fester, scharfer Blick war des Königs Antwort. Die 
Königin aber sprach die berühmten Worte: „Dem Ruhme Friedrichs 
des Großen war es erlaubt, uns über unsere Kräfte zu täuschen, wenn
	        
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