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6. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen.
Der einzige Weg zum Wohlstande und zum wahren Glücke, auf welchem
du nicht nur dich selber, sondern zugleich die Welt bereicherst, ist der der
Erzeugung und Vermehrung der Güter, d. h. der Weg der Arbeitsamkeit
und Ersparnis. Es gibt allerdings auch einen Glücksweg, wobei der eine
durchs Spiel, der andere durch Erbschaft, der dritte durch einen Fund sich
bereichert, d. h. immer der eine das gewinnt, was der andere verliert, wo-
bei aber tatsächlich kein neuer Wert erzeugt wird. Gar mancher, der auf
solche Glücksfälle wartet, verpaßt darüber die beste Zeit zur Arbeit und
bleibt „Ein armer Teufel; und welchen geringen Wert haben diese Güter
gegenüber den selbsterworbenen! Gewinnt nicht der Mensch, welcher sein
tägliches Brot erarbeitet, zugleich zwei der größten Güter: Häuslichkeit
und Genügsamkeit? Stellt sich nicht mit dem selbsterworbenen Brote
der beste Gast ein, nämlich die Zufriedenheit, und kann nicht der Genügsame,
welcher mit wenigem zufrieden ist, leicht entbehren?
Das Glück der Menschheit besteht nicht darin, daß sie sich nur zum
Genusse an die gedeckte Tafel setzen darf. Welch zweifelhaften Dienst
die Natur dem Menschen erweist, wenn sie ihm die gebratenen Tauben ins
Maul fliegen läßt, beweisen uns jene südlichen Himmelsstriche, wo sie ihm
freiwillig alles gibt, was er nur braucht, wo ihm das Brot auf den Bäumen
wächst, die Flüsse von Fischen und die Wälder von Tieren wimmeln, wo
er weder für Kleidung noch für Holz im Winter zu sorgen hat. Wir sehen,
daß die Bewohner jener Gegenden faul und arm bleiben, daß bei ihnen
Mangel und Hungersnot nichts Seltenes sind, während wir, die wir dem
Boden mit Arbeit und Mühe unser tägliches Brot abringen, nicht nur die
Bedürfnisse des Lebens erwerben, sondern auch einen Wohlstand begründen,
der uns in den Zeiten der Not schützt, und tausend Einrichtungen für unsere
Bequemlichkeit haben, von welchen jene armen Wilden nichts wissen. Das
Wort der Bibel: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein
Brot essen“, ist ein Segenswort für die Menschheit geworden.
Nlun höre ich aber den einen und den andern behaupten, daß mitten
in dem blühenden Erwerbsleben unfrer Zeit die Landwirtschaft nicht mehr
gleichen Schritt mit den Gewerben halten könne; während diese empor-
blühen, müsse jene zugrunde gehen. Diese Ansicht ist indessen geradezu
unrichtig; denn alle erlaubten Erwerbszweige arbeiten einander in die Hände.
Soviel sieht jeder ein, daß eine nachhaltige und gesunde Hebung des Ge-
werbslebens nur zugleich mit einer Steigerung des Ertrags in der Land-
wirtschaft erfolgen kann; denn wenn der Bauer nicht wiederum Erzeugnisse
in hinreichender Menge hervorbringt, um billiges Brot liefern und doch
noch Ersparnisse machen und gewerbliche Erzeugnisse kaufen zu können,
so gedeihen auch jene nicht und andrerseits wird durch ein gehobenes
Gewerbsleben auch ein größerer Bedarf an Nahrungemitteln hervor-
gerufen. 1
Es ist richtig, daß durch die Beschickung unsrer Märkte mit Korn, Mehl,
Fleisch, Fett und Wolle aus fernen Gegenden, in denen die Erzeugungs-