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aus dem trüben Düster auf, von denen wir anfangs nicht unterscheiden können,
ob es Menschen oder Tiere sind. Sie nähern sich langsam, und wie dann
ein Sonnenstrahl hervorbricht, sehen wir, daß es Hirsche sind. Ein altes
stattliches „Tier“, eine Hirschkuh, schreitet voran, dann zwei jüngere, darauf
wiederum eine alte Hirschkuh mit einem Kälbchen und zuletzt ein sehr großer
männlicher Hirsch mit gewaltigem Geweih; alle eilen nun, nachdem sie sich ge-
sichert haben, d. h. sich umgeschaut, ob keine Gefahr zu besorgen, ziemlich
schnell daher und zwar wenden sie sich geradezu nach der anderen Seite der
Lichtung, wo dicht am Waldesrande eine Fütterung für sie angebracht ist.
Die jungen Leser werden sich darüber wundern, daß man die Hirsche
im Walde füttert. Dies ist aber in der Tat der Fall und zwar werden die
Fütterungen für allerlei Wild, also auch für Rehe, Hasen, Rebhühner u. s. w.
eingerichtet, einerseits um diese Tiere vor Not und Verderben im harten
Winter zu bewahren und andererseits um sie davon abzuhalten, daß sie
Schaden an wertvollen Forst- und Naturgewächsen verursachen.
Von den Hirschen aufgescheucht, huscht eine Schwarzdrossel oder
Amsel bei uns vorüber, jener schöne, tiefschwarze Vogel mit goldgelbem
Schnabel, der zu den angenehmsten Frühlingssängern gehört. Dann sehen
wir am Waldesrande eine Schar Seidenschwänze, welche auf den jungen
Ebereschenbäumen nach einzelnen Vogelbeeren umhersuchen. Diese schön
gezeichneten Vögel sind nordische Wanderer, welche unserem deutschen
Vaterlande nur im Winter angehören. Mit einmal wird es rings um uns
her lebendig; eine Schar jener munteren und überaus nützlichen Vögelchen,
Kohl= oder Fink-, Tannen-, Hauben= und Blaumeisen, Goldhähnchen,
Baumrutscher, Kleiber (Blauspecht) und ein einzelner kleiner Specht ziehen
hier zwitschernd und singend um die Waldesecke, indem sie von den Obst-
gärten eines Dorfes nach denen des anderen zu streichen. An ihrem lustigen
und zutraulichen Wesen, besonders aber an der Emsigkeit, mit der sie Baum
und Strauch absuchen um dieselben von den schädlichen Kerbtierbruten zu
befreien, darf sich das Herz des Naturfreundes innig freuen. Plötzlich
läßt eine Kohlmeise einen schrillen Warnungsruf erschallen und augenblick-
lich ist die ganze Schar in das schützende Dickicht verschwunden. Ein Sperber,
der arge, blutdürstige Feind der kleinen Vögel, streicht hier am Rande des
Waldes umher auf die Schwarzdrosseln, Meisen oder andere Vögel Jagd
zu machen. Diesmal ist es aber vergeblich; denn in dem dichten Kiefer-
und Fichtengebüsche sind die Vögelchen wohlgeborgen.
Auch der Erzräuber Reineke, der mordgierige Fuchs, stöbert, vom
Hunger getrieben, drüben am Waldesrande umher und wagt sich sogar
quer über die Lichtung und nach dem Felde hinaus, was er zu anderer
Jahreszeit bei Tage niemals tut. Dort bewegt es sich plötzlich in einer
alten hohen Föhre vor uns und pfeilschnell schießt ein Eichkätzchen daraus
hervor, verfolgt von einem Marder, seinem bittersten Feinde. Während
dessen kommt hurtig ein Hase über die Lichtung daher, welchen Reineke
aus seinem warmen Lager aufgestört hat ohne ihn jedoch zu erwischen,
und der nun ebenfalls im schützenden Dickicht schleunigst sich zu verber-
gen sucht.
Maier-Bode, Lesebuch. 3. Aufl. 13