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Art. 70. Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen
zunächst die etwaigen Ueberschiff der Vorjahre, sowie die aus den Zöl-
len, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Post= und
Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit die-
selben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, so lange
Reichssteuern nicht eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundes-
staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur
Höhe des budgetmäßigen Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben
werden.
Art. 71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel
für ein Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen auch für eine
längere Dauer bewilligt werden.
Während der im Art. 60. normirten Uebergangszeit ist der nach
Titeln geordnete Etat über die Ausgaben für das Heer dem Bundesrathe
und dem Reichstage nur zur Kenntnißnahme und zur Erinnerung vor-
zulegen.
zu 72. Ueber die Verwendung aller Einnahmen des Reiches ist
durch den Reichskanzler dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Ent-
lastung jährlich Rechnung zu legen.
Art. 73. In Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses können
im Wege der Reichsgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die
Uebernahme einer Garantie zu Lasten des Reiches erfolgen.
Schlußbestimmung zum XII. Abschnitt.
Auf die Ausgaben für das Bayerische Heer finden die Art. 69. und
71. nur nach Maßgabe der in der Schlußbestimmung zum XI. Abschnitt
erwähnten Bestimmungen des Vertrags vom 23. November 1870 und
der Art. 72. nur insoweit Anwendung, als dem Bundesrathe und dem
Reichstage die Ueberweisung der für das Bayerische Heer erforderlichen
Summe an Bayern nachzuweisen ist. "
XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und Strafbestimmungen.
Art. 74. Jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität,
die Sicherheit oder die Verfassung des Deutschen Reiches, endlich die
Beleidigung des Bundesrathes, des Reichstages, eines Mitgliedes des
Bundesrathes oder des Reichstages, einer Behörde oder eines öffentlichen
Beamten des Reiches, während dieselben in der Ausübung ihres Berufes
begriffen sind oder in Beziehung auf ihren Beruf, durch Wort, Schrift,
Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, werden in den ein-
zelnen Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach Maßgabe der in den
letzteren bestehenden oder künftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach
welchen eine gleiche gegen den einzelnen Bundesstaat, seine Verfassung,
seine Kammern oder Stände, seine Kammer= oder Stände-Mitglieder,
seine Behörden und Beamten begangene Handlung zu richten wäre.
Art. 75. Für diejenigen in Art. 74. bezeichneten Unternehmungen
gegen das Deutsche Reich, welche, wenn gegen einen der einzelnen Bun-
desstaaten gerichtet, als Hochverrath oder Landesverrath zu gqualifiziren
wären, ist das gemeinschaftliche Ober-Appellationsgericht der drei freien
und Hansestädte in Lübeck die zuständige Spruchbehörde in erster und
letzter Instanz.
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